14.08.2009, 09.42 Uhr   |   Redaktion   |   Artikel drucken   |   Instapaper   |   Kommentare

„Nepp-Tour“: Verkaufsqual statt Geldsegen

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Glücklicher Gewinner? Statt - wie versprochen - „edle Lebensmittel“ gab es für Matthias Müller Discounter-Ware in der Plastiktüte.

Nach über neun Stunden Verkaufsterror wollten viele der Teilnehmer einfach nur nach Hause.

Nach über neun Stunden Verkaufsterror wollten viele der Teilnehmer einfach nur nach Hause.

Im August 2004 berichtete die CW über eine „Nepp-Tour“ mit dem Bus an die Möhne-Talsperre, wo 42 Cronenberger den Hauptgewinn aus einem Preisausschreiben erhalten sollten. In Wirklichkeit ging es aber um den Verkauf eines überteuerten Nahrungsergänzungsmittels – das versprochene Geschenk, ein Uhren-Set, war billiger Ramsch. Fünf Jahre später wollten wir wissen, ob sich etwas bei den vermeintlichen „Gewinner-Touren“ getan hat. CW-Mitarbeiter Matthias Müller „opferte“ sich erneut und ging mit auf Tagesfahrt nach Koblenz.

Nach eigenen Angaben Europas größter Reiseclub lockte mit einem 3.000-Euro-Gewinn… Das Anschreiben wirkte vertrauensbildend: Man prangerte die „schwarzen Schafe“ der Branche an, ja der Brief nahm sogar Bezug auf den Paragraphen 661a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), in dem die Einhaltung von Gewinnzusagen festgeschrieben ist. „Unser Motto lautet: Vertrauen und Ehrlichkeit setzen sich durch“, hieß es in dem Schreiben. Doch wer eine Lupe zur Hand nahm, erkannte sofort: Der vermeintlich sichere Bargeld-Gewinn war ein „Rubbellos“ und daher Glücksache, das zusätzliche Geschenk, ein Dreigang-Fahrrad beziehungsweise der Camcorder, ent- puppten sich als Lockmittel. Da stand schwarz auf dunkelblau in winzigen Buchstaben: „Kundenvorteil“. Damit aber nicht genug der „Segnungen“: Oben drauf wurden sieben Pfund edelste Lebensmittel und ein Geschenkpaket für jeden Teilnehmer versprochen – alles gratis?

Die Bus-Tour ins Ungewisse machte morgens um 7.30 Uhr an der Dörper Bushaltestelle „Rathaus“ halt und auch drei „Touristen“ aus dem CW-Land stiegen ein. Gegen 10 Uhr war dann die Mosel erreicht, genauer gesagt ein Gaststätten-Saal, gemütlich wie ein un- aufgeräumter Speicher. Hier erwartete die rund 110 überwiegend älteren Teilnehmer ein Frühstück – zwei Brötchen-Hälften und eine Tasse Kaffee dazu. Dann flogen Plüschtiere – die Teilnehmer wurden „angefüttert“, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, denn es begann ein Verkaufs-Marathon, der stolze insgesamt neun Stunden dauern sollte. Zunächst pries eine dynamische Dame Vier-Tage-Reisen an, die von 348 beziehungsweise 448 Euro auf 148 beziehungsweise 78 Euro reduziert wurden – was für Schnäppchen! Dazu gab’s noch kostenlos Reisekoffer oder Digitalkamera – unglaublich! Der Trick: An die Interessierten wurden (angeblich) unverbindliche Optionsscheine verteilt, Namen gezogen und aufgerufen: „Gratulation!“ hieß es dann und schon waren die Opfer in den Fängen der fünf Assistenten im Hintergrund , welche die Reise-Verträge abschlossen – so verkauften sich die ersten 50 Reisen fast von selbst.

Glücklicher Gewinner? Statt - wie versprochen - „edle Lebensmittel“ gab es für Matthias Müller Discounter-Ware in der Plastiktüte.

Glücklicher Gewinner? Statt - wie versprochen - „edle Lebensmittel“ gab es für Matthias Müller Discounter-Ware in der Plastiktüte.

Das Spiel ging bis 12.30 Uhr, dann folgte „Rudis Resterampe“: Waren, angeblich aus dem RTL-Shop und von QVC – alles musste raus. Irgendwann kam das Mittagessen, was für Fleisch dabei auf dem Teller lag, blieb der Fantasie überlassen… Als „Nachtisch“ folgte ein Propagandist, der auf das Thema „Gesundheit“ abonniert war: Der Mann pries Massagesessel an, denn „jetzt (als Rentner) müssen die schönen Jahre kommen!“, so der seriöse Herr mit Fliege. Statt der rund 4.000 Euro, mit denen das Massagewun- der angeblich im Geschäft zu Buche schlüge, gab’s den Sessel für nur 1.398 Euro – wieder Optionsscheine, wieder Zugzwang! Als dann gegen 15.45 Uhr der dritte Sponsor vom „Institut Europa zur Förderung der Vitalität und Gesundheit“ die Saal-Bühne betrat, machten sich Unmut und Stöhnen breit – die ersten verließen den Saal. Ein Propagandist warb nun für ein Sauerstoff-Gerät. Das sollten die Zuhörer sofort nötig haben, denn die ermüdende Präsentation dauerte knapp drei Stunden an…

Nach all diesen Super-Preisen waren die Rubbellose mit der 3.000- Euro-Gewinnchance fast Nebensache – es gewann eh’ niemand. Nach geschlagenen neun Stunden endete das Spektakel in einer „hastigen“ Dampferfahrt – alles andere fiel in die Mosel, Zeitmangel! Ankunft in Wuppertal: 22.30 Uhr! Fazit der „Nepp-Tour“: Geändert hat sich grundsätzlich nichts, dubiose Gewinnmitteilungen sollte man besser direkt dem Papierkorb zuführen!

Die Verbraucherzentrale Hamburg e.V. hat im Internet unter www.vzhh.de (Menüpunkt Markt&Recht) eine 102 Seiten lange Liste eingestellt, die unseriöse Veranstalter von vermeintlichen Schnäppchen-Touren, Busreisen, Gewinnspielen aufführt. Darunter ist übrigens auch Bustouristik Bärbel Sommer aus Oldenburg, mit der CW-Mitarbeiter Matthias Müller „auf Tour“ ging… Die Verbraucherzentrale Wuppertal (Schlossbleiche 20) bietet zudem den Flyer „Kaffeefahrten: Tarnen, Täuschen, Abkassieren“ an. Mehr Infos unter www.verbraucherzentrale-nrw.de. (CW vom 14.8.2009)

Matthias Müller