17.10.2012, 17.10 Uhr | Redaktion | Artikel drucken | Instapaper | Kommentare
Ronald F. Stürzebecher verabschiedet sich mit „Piaf“
„Wer wirklich Schauspieler werden wollte, der ist richtig getreten worden.“ Das heißt es dieser Tage über Ronald F. Stürzebecher, den Gründer und langjährigen Leiter des TiC-Theaters. Wer so redet über Stürzebecher, der im Krisenjahr 2008 nach schweren internen Auseinandersetzungen aus dem TiC ausschied, das ist allerdings keiner seiner zahlreichen Gegner von damals. Es sind Worte von: Ronald F. Stürzebecher. Keine Frage: Der Mann weiß, wie er ist.
Stürzebecher ist jetzt Mitte sechzig und wird sein Berufsleben bald beenden. Und seine Abschlussinszenierung wird „Piaf“ sein, ein Stück mit Musik über die berühmte Chansonsängerin; ab 10. November wird er es im „Kammerspielchen“ auf die Bühne bringen, dem noch ziemlich unbekannten Kleintheater von Ernst-Werner Quambusch an der Westkotter Straße in Barmen. Ans TiC hingegen ist nicht zu denken dafür, und da sind der Ex-Prinzipal und sein Ex-Theater sich ausnahmsweise einmal einig. An der Borner Straße ist Stürzebecher persona non grata – und das ohne Zweifel aus guten Gründen.
Dass es anstrengend ist, mit dem Cronenberger Theatermann zu arbeiten, kann Evelyn Werner lebhaft bestätigen. Sie spielt und singt in „Piaf“ die Titelrolle, ist Koloratursopranistin und hat übrigens auch schon quer durch Deutschland in Musicals wie „Phantom der Oper“ oder „Les Misérables“ gesungen. Und sie sagt über Stürzebecher trotz allem auch: „Er ist mein Entdecker.“ Ihr Lehrmeister, dem sie viel zu verdanken hat. Als Stürzebecher sie dann fragte, ob sie seine letzte „offizielle“ Inszenierung spielen wolle, hat Werner gern zugesagt.
Die Besetzung war Stürzebecher wichtig. Fast könnte man ja versucht sein, bei dem Stück „Piaf“, das viel zeigt von den Brüchen und Ausbrüchen der renitenten Chansonnière, auch an Stürzebechers eigene Renitenz zu denken. Falsch gedacht: „Bei meinem Abschiedsstück stellte sich für mich weniger die Frage: ,Welches Stück?‘. Sondern: ,Mit wem?‘“ Und da war Evelyn Werner eine Wunschkandidatin.
Vorgeschichte: Nicht jeder weiß heute, dass Ronald Stürzebecher in den Achtzigern leitender Operndramaturg bei den Wuppertaler Bühnen war; und für die Weihnachtsoper „Der kleine Schornsteinfeger“ von Benjamin Britten (Stürzebecher: „Nicht dieses übliche Weihnachtsmärchen-Getue!“) entdeckte er beim Vorsprechtermin vor Jahrzehnten unter vielen Kindern die kleine Evelyn und ihre Begabung. Warum gerade sie? „Evi ist an ihre Rollen von Anfang an mit einer befreienden Selbstverständlichkeit herangegangen“, sagt er heute – am Rande der „Piaf“-Proben, die in einer Elberfelder Hinterhofgalerie ihr Quartier gefunden haben, der „Halle Hallepape“.
Solch ein Satz über Werners Talent könnte einstudiert klingen – ist er aber nicht, das wird schnell klar. Denn wer Stürzebecher zusieht beim Proben (Theaterleute sagen ja komischerweise „Probieren“), der merkt schnell: Stürzebecher mag vielleicht ein Rohling sein (heute übrigens nicht); er beobachtet und formuliert aber auch präzise. Etwa wenn er den Schauspielern Hinweise gibt, wie die oder jene Stelle im Stück gespielt werden soll. Und Präzision ist in der Tat eine der Eigenschaften, die Evelyn Werner schätzt an ihrem Mentor. Auch intensiver sei die Arbeit mit ihm, härter, als es heute etwa an mancher Schauspielschule üblich sei – „aber auch wahrhaftiger“.
An seiner Hauptdarstellerin hat Stürzebecher heute wenig auszusetzen. Mit glockenheller Stimme trägt sie zwischen Probestühlen und Requisiten einige der bereits eingeübten Lieder vor; und einige Facetten der Figur Piaf scheinen auch bereits zu „sitzen“ in den Szenen, die heute auf dem Probenplan stehen – das Überdrehte oder auch das Zerbrechliche. Der Regisseur weiß, was er hat an seiner frühen Entdeckung.
Als Talentschmiede sieht auch das heutige TiC sich ja weiterhin. Und Gemeinsamkeiten gibt es überhaupt immer noch so einige zwischen den Kontrahenten von einst – etwa das große Vertrauen in das Können begabter Laien, aus denen das Cronenberger Ensemble sich schließlich bis heute rekrutiert. Ronald Stürzebecher geht da indes noch weiter und hält gleich das ganze Schauspielstudium generell für überschätzt: „Wenn einer richtig gut ist – wozu da ein Einser-Zeugnis? Interessiert nicht.“ Nicht allzu viel Zustimmung wird Ronald Stürzebecher ernten für Rumpeleien wie diese. Aber: Er kennt’s ja nicht anders.
Martin Hagemeyer