08.05.2015, 15.59 Uhr   |   Meinhard Koke   |   Artikel drucken   |   Instapaper   |   Kommentare

70 Jahre Kriegsende: „Hitler hat mir nie Schokolade geschenkt“

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Eva Loeken und Karl-Heinz Dickinger waren zwölf beziehungsweise sechs Jahre alt, als der 2. Weltkrieg endete.

Am heutigen 8. Mai 2015 jährt sich das Ende des 2. Weltkrieges zum 70. Mal. In Cronenberg kam der Zusammenbruch von Nazi-Deutschland bereits drei Wochen zuvor: Am 16. April 1945 kapitulierte Wuppertal – der Krieg war damit im Dorf vorbei, Not und Elend aber nicht. Am 25. Juni 1943 hatte der sogenannte „Elberfelder Angriff“ das CW-Land getroffen: 630 britische Bomber richteten verheerende Zerstörungen auch in Cronenberg und vor allem in der Südstadt an. Fast zwei Drittel aller Gebäude Wuppertals waren zerstört, in der Südstadt sollen nicht mehr als 14 Bürgerhäuser heil geblieben sein.

Kriegsende: Für die „Amis“ war Cronenberg noch selbstständig

Als die US-Truppen in Wuppertal einrückten, wussten sie nicht, dass sie eine Großstadt einnahmen: Ihre Karten stammten noch aus dem Jahr 1929, sodass sie Cronenberg noch für eine selbstständige Stadt hielten. Entsprechend setzten die Befreier Alfred Hamm am 16. April 1945 als Cronenberger Nachkriegsbürgermeister ein – am 4. Mai erkannte die US-Militärbehörde ihr Missverständnis, Hamm wurde wieder abgesetzt. Eva Loeken und Karl-Heinz Dickinger blieb diese Cronenberger Polit-Posse der Nachkriegswirren verborgen – bei Kriegsende waren sie Kinder. Karl-Heinz Dickinger betrachtete die Befreiung von der Nazi-Diktatur und das Ende des Krieges als verspätetes Präsent zu seinem sechsten Geburtstag am 6. Mai 1945.

Schon Tage vor dem US-Einmarsch habe gespenstische Ruhe in Cronenberg geherrscht, gab es keine Flakscheinwerfer mehr am Himmel, erinnert sich der heute 76-Jährige. Karl-Heinz Dickinger wohnte bei Kriegsende mit seiner Mutter an der Ecke Borner Straße/Hauptstraße. Während große Teile der Ortsmitte entlang der Hauptstraße zerstört wurden, blieb das elterliche Haus neben der Sparkasse (heute „Foto-Media Hensel“) verschont.

„Wunderbar“: Schokolade-Wurf vom Panzer

Auf einmal sei Kettenrasseln zu hören gewesen, Karl-Heinz Dickinger rannte auf die Straße und sah amerikanische Panzer über die Solinger Straße einrollen. Obendrauf erblickte der Sechsjährige einen farbigen US-Soldaten: „Ich weiß noch wie mich sein Blick traf“, berichtet Dickinger: Dann warf er ihm etwas Rundes in Staniolpapier zu: „Ich machte es auf – der Geruch der Schokolade war wunderbar“, weiß der Dörper noch: „Von Hitler habe ich nie Schokolade bekommen.“

„Alle im Dorf hatten weiße Betttücher in den Fenstern“, erinnert sich Eva Loeken. Bei Kriegsende war sie zwölf Jahre alt und am Hofe zu Hause. Die Nazi-Propaganda hatte ihre Spuren hinterlassen: „Ich hatte Angst und gedacht, die Russen wären Menschenfresser.“ Während die Familie daheim blieb, ging ihr Vater los, um die Lage im Dorf zu erkunden. Mit den Worten: „Das ist typisch für die Amerikaner“, kehrte er zurück. Vor allem farbige Soldaten hatte er gesehen – „die müssen wieder die Kohlen aus dem Feuer holen“, lautete sein Kommentar.

Besatzer in Fabrikanten-Villen, Internierungslager für deutsche Soldaten

In der Folge, erinnert sich Eva Loeken, fuhren die US-Soldaten mit ihren Jeeps Patrouille durch die Straßen und belegten die Villen der Fabrikanten. So auch in der Herichhauser Straße: „Da ging dann manche Dame ein und kam in Seidenstrümpfen wieder raus.“ In Erinnerung geblieben sind auch zerlumpte deutsche Soldaten, die sich ins Burgholz geflüchtet hatten. Von den Amerikanern, so wissen Eva Loeken und Karl-Heinz Dickinger noch, wurden sie auf einer Wiese, wo später die Cronenberger Post gebaut wurde, interniert: „Dann waren die da tagelang – wie auf den Rhein-Wiesen, ausgemergelt sahen die aus.“

Ebenso erinnert sich Eva Loeken, dass die US-Soldaten Trophäenjäger waren: „Ich weiß noch, wie sie den Soldaten die Uhren abgenommen haben – in jedem Knopfloch hatten sie eine.“ Aber nicht nur auf Uhren waren die GIs „scharf“: Ihre Mutter habe nach der Befreiung eine Hakenkreuzfahne aufgetrennt, um ihr aus dem Stoff ein Kleid zu nähen, erzählt Eva Loeken eine Anekdote. Als sie dann hörte, dass die Amerikaner „heiß“ auf solche Nazi-Devotionalien seien, nähte sie das Hakenkreuz schnell wieder dran. „Was machst du denn da?“, zeigte sich die Cousine erschrocken – „der Hitler ist wieder auferstanden“, scherzte die Mutter. Schließlich gab’s zwei Pfund Kaffee für die „auferstandene“ Nazi-Fahne.

Angst, so berichten die beiden Dörper Zeitzeugen, habe vor den Zwangsarbeitern geherrscht. Aus den einzelnen Lagern im Dorf wurden sie in der Borner Schule untergebracht. Dass sie sich mit Plünderungen für ihr Leid rächen könnten, wurde im Dorf befürchtet: „Mein Vater hatte eine große Axt hinter der Tür“, weiß Eva Loeken noch – er brauchte sie nie.

Trotz Not und Elend: Eine glückliche Jugendzeit

„Wir waren nicht so stark betroffen“, blickt Eva Loeken weiter zurück: Das Elternhaus war nicht zerstört, der Bruder kehrte schnell aus dem Krieg zurück, die Not hielt sich in Grenzen: Auf dem Gelände der heutigen RSC-Halle hatte die Familie einen Garten mit Gemüse, Kaninchen und Hühnern („Da musste man aufpassen, dass der nicht geplündert wurde“), die Mutter erledigte gegen Naturalien Näharbeiten, bei Freunden der Eltern in Leichlingen konnten sie „hamstern“ und schließlich hatte der Vater als Gartenwerkzeug-Händler immer etwas zum Tauschen.

„Auch meine Mutter kungelte, aber wir mussten mit ganz wenig auskommen“, erinnert sich Karl-Heinz Dickinger: Im Busch an der Friedensstraße wurde Holz geholt, er half beim Bauer Jöcker in Unterkirchen für ein paar Kartoffeln, organisierte aus dem Garten der Villa Johanna in der Karl-Greis-Straße Obst und sammelte Bucheckern: „Das wurden dann gemahlen, dann hatte man wenigstens ein bisschen Fett.“

Trotz aller Not, trotz der Schreckenszeit während der Bombenangriffe im Schutzkeller, die Eva Loeken nicht vergessen kann („Ich habe furchtbar gelitten – dieses Eingeschlossensein hinter der Tür mit dem Hebel“), die beiden Cronenberger blicken positiv auf das Kriegsende zurück: „Ich würde sagen, dass ich eine schöne Jugendzeit hatte“, sagt Eva Loeken: „Die materiellen Dinge hat man gar nicht so vermisst.“ Dankbar zeigt sich Karl-Heinz Dickinger: „Dass man das heil überstanden hat – es hätte auch anders sein können.“