03.10.2015, 10.10 Uhr   |   Redaktion   |   Artikel drucken   |   Instapaper   |   Kommentare

Deutsche Einheit: Thomas Strieder neben Genscher auf dem Balkon

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Auch mal wieder schön, in der Heimat zu sein: Die CW traf Botschafter Thomas Strieder in der „Hütte“, der Cronenberger Altstadt.

Thomas Strieder hat es im wahrsten Sinne weit gebracht – der gebürtige Sudberger seit 2014 ist der 57-Jährige der deutsche Botschafter in der Republik Kongo. Als sich Strieder kürzlich mal wieder beruflich von Brazzaville nach Berlin aufmachte, legte er privat Zwischenstation bei den Eltern in Sudberg ein.

Die CW nutzte die Gelegenheit, um sich mit Thomas Strieder zu einem Gespräch zu treffen, denn Gesprächsstoff bietet der Deutschland-Vertreter mehr als genug: Seit fast 30 Jahren ist der gelernte Jurist im diplomatischen Dienst, war ebenso in Ägypten, Polen und Tunesien tätig wie in Indonesien, in Mali und Afghanistan oder auch in Tschechien – Thomas Strieder ist rumgekommen in der Welt! Und hat – wo immer er tätig war – „Weltbewegendes“ erlebt.

Beim „Gänsehaut-Satz“ neben Genscher auf dem Balkon

In Indonesien war er unmittelbar nach dem verheerenden Tsunami (2004) auch im völlig zerstörten Banda Aceh im Einsatz, in Afghanistan leitete er die diplomatische Vertretung im deutschen Feldlager Kundus, in Warschau und Breslau erlebte er die Aufhebung der Visumspflicht für Polen in Deutschland, im afrikanischen Mali war Thomas Strieder tätig, als Al-Kaida-nahe Kämpfer in der Kulturmetropole Timbuktu Weltkulturerbe-Stätten zerstörten, und in Ägypten sowie Tunesien erlebte der Diplomat hautnah den arabischen Frühling mit.

Als einen Höhepunkt seines diplomatischen Dienstes, aber auch seines bisherigen Lebens benennt Thomas Strieder einen Moment, der fast auf den Tag genau 26 Jahre zurückliegt: Am 30. September 1989 stand der junge Legationssekretär auf dem Balkon der deutschen Botschaft in Prag, als der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher einen Satz sagte, der zu einem Gänsehaut-Moment der Wiedervereinigung wurde: „Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise…” – der Rest der Genscher-Worte ging im Jubel der DDR-Flüchtlinge unter.

Durch Anruf einen „Ausreise-Nachschlag“ ausgehandelt

Die Wochen von Prag, die Thomas Strieder als „das nachhaltigste Erlebnis meiner Dienstzeit” benennt, begannen für Strieder damit, Schlafsäcke und Zelte zu beschaffen für hunderte DDR-Bürger, die sich auf das Prager Botschafts-Gelände geflüchtet hatten. Es herrschte Ausnahmezustand im Palais Lobkowicz, bis auf die Privaträume des Botschafters war fast jeder Meter mit Flüchtlingen belegt – der große Ballsaal, erinnert sich Thomas Strieder, war dicht an dicht mit mehrstöckigen Hochbetten gefüllt.

Die hygienischen Verhältnisse waren katastrophal, Außenminister Genscher sei schockiert gewesen, als er durch den Ballsaal auf den Balkon schritt. Weiter erinnert sich Thomas Strieder, dass die Prager Botschaft nach der Zug-Ausreise der ersten Welle schnell wieder voller Flüchtlinge war. Strieder, der in der Botschaft Stallwache hielt, rief daraufhin in den frühen Morgenstunden bei der DDR-Botschaft an und handelte einen „Ausreise-Nachschlag“ aus: „Das war der letzte Zug dieser ersten Aktion, der dann noch rausging.“

Flucht heute: „Wir können aus den Flüchtlingen großen Nutzen ziehen“

Damals waren „die Brüder und Schwestern aus dem anderen Teil Deutschlands“ die Flüchtlinge, dennoch drängt sich der Vergleich zur aktuellen Flüchtlingswanderung und den derzeitigen Diskussionen um die Aufnahmefähigkeit auf. Thomas Strieder hat nicht zuletzt aufgrund seiner rund 30-jährigen diplomatischen Erfahrung eine eindeutige Meinung dazu: „Wir können aus den Flüchtlingen einen großen Nutzen ziehen.“ Die Flüchtlinge von heute, zeigt sich der Botschafter fest überzeugt, würden eines Tages ganz überwiegend zurück in ihre Heimat gehen, aber dann in großer Verbundenheit zu Deutschland.

Das fand Thomas Strieder zum Beispiel in Afghanistan: In der dortigen Regierung hatte er es mit einer Vielzahl hochrangiger Vertreter bis hin zu Ministern zu tun, die fließend Deutsch sprachen und extrem deutschfreundlich waren, weil sie zuvor Aufnahme in Deutschland gefunden hatten: „Das ist ein großes Kapital“, lautet seine Erfahrung, Strieder appelliert daher, die derzeit ins Land strömenden Flüchtlinge nicht als Belastung, sondern als Bereicherung zu sehen.

„Die Angst vor den Flüchtlingen basiert auf Unkenntnis…“

An die Adresse alljener, die Angst vor den Asylsuchenden haben, die das Boot Deutschland für voll halten, sagt Thomas Strieder: „Ängste sind verständlich, aber Angst ist irrational und basiert vor allem auf Unkenntnis – die Menschen sind überall gleich“, unterstreicht der Diplomat sein Credo. Der Botschafter ist sich sicher, dass Deutschland eine „riesige Integrationskraft“ habe und die Flüchtlingswelle bewältigen könne.

Schließlich, so Thomas Strieder, habe es ja Völkerwanderungen immer schon gegeben – „warum also nicht auch heute – wir alle kommen aus Afrika…“