06.11.2015, 18.54 Uhr   |   Redaktion   |   Artikel drucken   |   Instapaper   |   Kommentare

Altenheim-Unglück: Angeklagte Pflegerin spricht von „Filmriss“

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Die Hauptangeklagte Sonja K. (li.) und Pflegedienst-Leiterin Nazita A. zum Prozessauftakt im Oktober 2015 mit ihren Anwälten. -Foto: Archiv

Vor dem Schöffengericht begann am 28. Oktober 2015 der Prozess zu einem tragischen Unfall: Am 8. Februar 2014 stürzte eine 90-jährige Bewohnerin im Städtischen Altenheim Cronenberg und starb zwei Tage später im Krankenhaus an den Folgen (die CW berichtete). Angeklagt sind die 50-jährige Altenpflegerin Sonja K. und die 47-jährige Pflegedienst-Leiterin Nazita A. wegen fahrlässiger Tötung.

Richterin Barbara Bittner hat zu klären, wie es zu dem schweren Sturz der Seniorin kommen konnte. Als die Richterin in der Personalakte der Beschuldigten blätterte und daraus zitierte, wurde klar: Die Alkoholsucht von Sonja K. war im Altenheim wohl schon seit 2010 ein offenes Geheimnis. Immer wieder gab es mit der früheren, aber auch mit der jetzigen Leiterin Gespräche sowie ebenso Abmahnungen wie ebenfalls Angebote zu Entzugstherapien, welche die 50-jährige anscheinend antrat, aber dann wohl wieder rückfällig wurde.

Selbst der Leiter aller städtischen Altenheime wurde über den Alkoholmissbrauch von Sonja K. informiert. Dass man dennoch keine Konsequenzen zog, lag offensichtlich daran, dass keine Beweise für einen Alkoholmissbrauch am Arbeitsplatz vorlagen, obwohl man die Beschuldigte unter besondere Beobachtung stellte. Als Folge des Unglückes wurde für die Angestellten des Heimes zwischenzeitlich ein Projekt begründet, sodass zukünftig schneller gehandelt und geholfen werden kann.

Angeklagte räumt ein, Alkoholikerin zu sein

Sonja K. behauptete am ersten Prozess-Tag, am Abend vor dem tragischen Unglücksfall eine Flasche Weißwein getrunken zu haben. Auch gab die Beschuldigte an, wegen ihrer Schmerzen und anderer „Gebrechen“ täglich einen regelrechten Medikamenten-Cocktail einnehmen zu müssen. Als die Angeklagte K. an diesem Samstag im Februar 2014 ihren Dienst versah, hatte sie offensichtlich 2,6 Promille Alkohol im Blut.
Auf die Frage der Richterin, wie es zum Sturz gekommen sei, räumte die inzwischen arbeitslose Altenpflegerin ein, Alkoholikerin zu sein.

K. schilderte, dass die Seniorin bereits gestürzt sei und am Boden gelegen habe, als sie mittags das Zimmer betreten habe. Als sie ihr aufzuhelfen versuchte, sei sie ebenfalls zu Fall gekommen und habe durch den Sturz einen „Filmriss“ erlitten – sie könne sich an nichts mehr erinnern. Pflegedienst-Leiterin Nazita A. behauptete, am Unglückstag erstmals Alkoholgeruch bei der Mitarbeiterin bemerkt zu haben. „Ich weiß überhaupt nicht, warum ich beschuldigt bin. Mich belastet diese Situation sehr“, erklärte Nazita A. weinend.

Polizeibeamte: „Sie wusste gar nicht, was los war!“

Eine weitere Kollegin sagte als Zeugin aus. Sie fand die Bewohnerin und die verwirrte Sonja K. auf dem Boden sitzend. Ihren Anwurf „Du bist ja betrunken“ habe die Beschuldigte zunächst abgestritten, dann dies aber doch zugegeben und geweint. Eine weitere Kollegin sagte ebenfalls aus, die beiden Frauen seien gemeinsam zu Fall gekommen. Weitere Zeugen waren drei Polizeibeamte, die den Alkoholtest durchgeführt hatten. Sie erinnerten sich, dass die Beschuldigte bei der Befragung verwirrt und abwesend gewirkt habe: „Sie wusste gar nicht, was los war.“

Als danach zwei Rettungssanitäter als Zeugen aussagten, wurde das „Puzzle“ zu einem Bild. Sie berichteten, dass das Opfer ihnen berichtet habe, Sonja K. habe ihr allein vom Sessel auf den Toilettenstuhl helfen wollen. Sie sei dann mit ihr zusammen umgekippt. Ähnliches sagte auch die Nichte des Opfers als weitere Zeugin aus. Sie hatte noch am Unfalltag mit ihrer Tante im Krankenhaus gesprochen.

Urteil soll am 12. November gesprochen werden

Außerdem erklärte die Nichte: „Dass Sonja K. Alkoholikerin war, wusste doch jeder im Haus!“ Der Prozess wird am 12. November fortgesetzt. An diesem Tag soll auch das Urteil gesprochen werden.