20.12.2017, 20.12 Uhr   |   Meinhard Koke   |   Artikel drucken   |   Instapaper   |   Kommentare

Mobilität 2027: Per „Schwarmmobil“ durchs Dorf und in alle Welt

Artikelfoto

Jörg Heynkes und Uwe Schneidewind (2.v.r.) mit Fritz Figge (li.) und Oliver Wagner (re.) vom „Kulturschmiede“-Verein. -Foto: Meinhard Koke

Mit der industriellen Revolution 1.0 durch die Einführung von Wasser- und Dampfkraft nahmen wir uns viel Arbeit ab, mit der zweiten Industrie-Revolution mit Hilfe von Fließbändern und elektrischer Energie noch mehr und mit der dritten digitalen Revolution, sprich der Automatisierung, abermals mehr. Sind wir nun dabei, uns mit der „Industrie 4.0“, also der digitalen Verzahnung von Produktion und Informations- und Kommunikationstechnik, überflüssig zu machen?

Darum ging es an diesem Abend in der Kulturschmiede Cronenberg anhand eines Teilbereiches unseres Lebens – der Mobilität: Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal Institutes, und Jörg Heynkes, Inhaber der VillaMedia, trugen ihre Gedanken dazu vor, wie wir künftig unterwegs sein werden. „Wer glaubt denn, dass Kindergarten-Kinder in 20 Jahren noch ,Brumm-Brumm‘ machen, wenn sie mit Autos spielen“, fragte Oliver Wagner vom Kulturschmiede-Verein eingangs – nur wenige Hände der vielen Zuhörer in der Kulturschmiede hoben sich da in die Höhe – wir befinden uns in revolutionären Zeiten.

„Das sind Zeiten, wie sie die Menschheit noch nicht erlebt hat“

„Ich möchte Sie beglückwünschen“, übernahm Jörg Heynkes den Staffelstab: „Wir leben in einer Zeit, wie es sie in der Geschichte der Menschheit noch nicht gegeben hat.“ Seine Sicht der vierten industriellen Revolution skizzierte der Aktivist in Sachen E-Mobilität, Träger des deutschen Solarpreises 2016 und nicht zuletzt Mitinitiator der Initiative „Aufbruch am Arrenberg“ anhand einiger Thesen. Erstens: Mit der Einführung von künstlicher Intelligenzen wie Apples Siri, IBMs Watson oder Amazons Alexa, sei „das Ende der Dummheit“ eingeläutet. Diese würden jeden Tag besser und hätten keine Limits – „das ist der größte Schatz und zugleich eine Riesengefahr“.

Zweitens: Das „Brumm-Brumm“ der Kindergarten-Kinder beziehungsweise Verbrennungsmotoren? „Braucht kein Mensch mehr auf der Welt“, zeigte sich Heynkes überzeugt, den Elektromotoren gehörten die Zukunft. Und auch Autofahrer oder Bus-, Taxi- oder Lkw-Fahrer seien Auslaufmodelle, verdeutlichte Heynkes auch anhand von Werbeclips. Zum Beatles-Klassiker „Baby, you can drive my car“ setzt Mercedes ein Baby auf den Fahrersitz seines autonom fahrenden „F015 Luxury in Motion“ – „coole neue Welt“, kommentierte Heynkes: „Wir kriegen alle einen Chauffeur.“

„Google will nicht, dass Sie steuern – das ist viel zu gefährlich“

Anderes Beispiel: das Google-Auto „Waymo“. Das kommt ohne Lenker, Gaspedal oder Bremse aus – „Google will niemanden von Ihnen fahren lassen“, erläuterte Jörg Heynkes, „das ist viel zu gefährlich…“ Google wolle auch nicht massenweise Waymos & Co. verkaufen – die stünden viel zu viel rum. Nein, so Heynkes weiter, der Autofahrer von morgen besitze keinen eigenen Pkw mehr. Er ordere sich für die morgendliche Fahrt zur Arbeit einen Waymo & Co. Anschließend fahre Waymo ins Depot, am Feierabend hole der „4.0-Chauffeur“ seinen Fahrgast wieder ab. „Schwarmmobilität“ nennt Heynkes das – in spätestens vier Jahren „schwärme“ sie über unsere Straßen, 2027 sei sie Standard der Mobilität.

Ob auf der Fahrt zur Arbeit, in die Kneipe, zum Einkaufen oder zur Schule, kein Ziel werde dann mehr mit dem eigenen Diesel-Pkw angesteuert, die Transformation zu den e-betriebenen „Schwarm-Mobilen“ werde „die Welt verändern, wie wir das noch nie erlebt haben“ – „den Strom haben wir schon, wir brauchen nur noch die Infrastruktur“. Konkret: Für die aktuell 200.000 Pkw in Wuppertal, so Heynkes, brauche es gerade einmal 25.000 autonome E-Mobile.

„Werkstätten, Parkhäuser, Waschanlagen – „alles überflüssig“

Mehr als 600.000 Parkplätze würden somit frei für Urban Gardening, Spielplätze oder Swimmingpools; weniger Lärm, Dreck und Autos, weniger Verkehrsunfälle, Verletzte und Tote im Straßenverkehr, weniger Mobilitätskosten – „unsere Städte werden eine völlig neue Lebensqualität gewinnen“, so Heynkes. Zumal Drohnen über Luftstraßen düsten… Und die deutschen Auto-Weltmeister, die müssen sich ebenso warm anziehen („Wer kauft denen in vier Jahren noch einen Pkw ab?“), wie Reparatur-Werkstätten, Parkhäuser oder Auto-Waschanlagen – die sollten umsatteln, riet Jörg Heynkes: „Wenn du merkst, dass du ein totes Pferd reitest, steig‘ ab.“ Gleiches gelte übrigens auch für die Seilbahn: Die sei „Schwachsinn“ und ein völlig unsinniges System – Heynkes: „Machen Sie sich keine Sorgen, die wird nie gebaut!“

Wuppertal-Institut-Chef Jörg schneidewind stimmte zu, dass die Welt vor einem „gewaltigen Umbruch“ stehe und Deutschland hinterher hinke. Das Mitglied des „Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung“ gab allerdings auch zu bedenken, dass die „schöne neue Welt“ nicht nur faszinierend sei, sondern auch Angst vor Orwellschen Zuständen mache: „Wenn die Künstliche Intelligenz übernimmt, dann sind wir in einem 1984er-Szenario“, sprach sich Schneidewind für „humanitäre Leitplanken“ aus.

Heynkes kontra Seilbahn, Schneidewind dafür

Wenn der Mensch die vierte Revolution gut gestalte, dann könne er erhebliche Potenziale wecken. Bis dahin aber, zeigte sich der Wuppertal-Institut-Chef überzeugt, werde es zu erheblichen politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Kämpfen kommen. Dem stimmte Jörg Heynkes zu: Die Verteilung der Wertschöpfung werde die entscheidende Frage. „Wir brauchen neue Systeme“, forderte Heynkes, ob Maschinensteuer und/oder Transaktionssteuer, nur noch Menschen-Arbeit zu besteuern, sei jedenfalls ein Auslaufmodell – man müsse kämpfen, denn: Google, Amazon oder Ikea zahlten heute schon keine Steuern…

Zur Seilbahn gab Uwe Schneidewind Kontra: Wuppertal müsse sich seine Experimentierfreude erhalten; wenn wieder eine Innovation verhindert werde, brauche es noch länger bis zur nächsten, sprach er sich für die Realisierung der Seilbahn-Idee aus…