20.01.2018, 14.44 Uhr   |   Meinhard Koke   |   Artikel drucken   |   Instapaper   |   Kommentare

Gastarbeiter-Film: „Und sie haben immer Sehnsucht gehabt…“

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Jakup Özdemir mit Unterlagen aus dem Leben seiner Eltern, so auch einer Plakette, die dem Vater für seine Hilfe vom Heimatort Cepni verliehen wurde. -Foto: Meinhard Koke

Tausende Gäste werden am heutigen Samstagnachmittag, 20. Januar 2018, die Uni-Halle füllen: Der Kölner „Verein zur Förderung und zum Schutz der Demokratischen Grundordnung“ (CHP) sowie die nach dem wohl bedeutendsten türkischen Dichter benannte Nazim-Hikmet-Stiftung veranstalten an der Albert-Einstein-Straße eine Film-Gala zur Geschichte der türkischen Gastarbeiter in Deutschland. Viel Prominenz wird dazu ab 17 Uhr in die Uni-Halle kommen, darunter die Singer/Songwriterin Leman Sam, Oberbürgermeister Andreas Mucke und sogar der Vorsitzende der türkischen Oppositionspartei CHP, Kemal Kilicdaroglu, haben ihr Kommen zugesagt.

Das bunte vierstündige Programm startet direkt mit der Premiere des Dokumentarfilms „Aus dem Tagebuch der Auswanderer“. Der Film erzählt von den Lebensgeschichten türkischer Gastarbeiter: 14 Monate lang war Regisseur Nebil Özgentürk in zwölf Städten unterwegs und interviewte Gastarbeiter, um ihre Geschichten, Erinnerungen, Schwierigkeiten und Erlebnisse zu dokumentieren. Zu ihnen zählt auch der Küllenhahner Yakup Özdemir, einer der Organisatoren der Großveranstaltung.

Lieblings-Hausmeister der Schulzentrum-Schüler

Der 52-Jährige ist vor allem für ehemalige Schüler des Schulzentrums Süd kein Unbekannter: Von 1998 bis 2005 avancierte er als Hausmeister im „Süd“ zum „Liebling“ der Schüler. Zu seinem Abschied bereiteten sie Yakup Özdemir eine Überraschung: Im vollen Pausenzentrum wurde er mit Pokal und Präsenten beschenkt – „ich war sprachlos“, blickt der heutige Hausmeister des Berufskollegs Elberfeld gerne auf die Sympathie-Bekundung zurück. Der Weg zum „Liebling“ der Schüler war alles andere als ein leichter für Yakup Özdemir und seine Eltern. Bei Sichtung der Unterlagen, Fotos und Erinnerungen der mittlerweile verstorbenen Eltern für das Film-Projekt förderte der Küllenhahner eine Lebensgeschichte zutage, die von Hoffnungen und Erfolg, aber auch von Entbehrungen, Sehnsucht und Leid geprägt war.

Nach Abschluss des sogenannten „Anwerbeabkommens“ zwischen der Bundesrepublik und der Türkei, 1961, zählte Vater Hayri 1965 zur ersten Gastarbeiter-Generation in Deutschland. Zunächst arbeitete er als Bergmann in Kassel, nach einem Unglück wechselte er nach Wuppertal und wurde Schlachthof-Mitarbeiter. Ehefrau und den gerade geborenen Yakup, einer von drei Kindern, hatte der Vater in der Türkei zurückgelassen – er wusste ja nicht, was ihn in Deutschland erwarten, welche Perspektive er hier haben würde, ob er vielleicht nach wenigen Jahren wieder zurückkehren müsse. Wie die Stempel in Hayri Özdemirs Pass beweisen, gab die Bundesrepublik ihren angeworbenen Gastarbeitern nur jeweils einjährige Aufenthaltsgenehmigungen – eine ständige Hängepartie, die erst 1981 mit einer unbefristeten Genehmigung endete, Sicherheit sieht anders aus…

„Mein Vater war für mich wie ein Fremder…“

In seiner Erinnerung sah Yakup Özdemir den Vater erstmals Anfang der 1970er Jahre: „Er war für mich wie ein Fremder.“ Die Zeit der Trennung setzte sich fort, als auch die Mutter nach Wuppertal ging – die drei Geschwister kamen in die Obhut der Großeltern. 1972 wurden die Kinder dann nachgeholt. Yakup absolvierte in Wuppertal die Grundschule, anschließend der nächste „Bruch“: Die Eltern schickten ihn zurück in die Türkei. Als einziger Junge der drei Özdemir-Kinder sollte er die Türkei kennenlernen, damit er sich dort vielleicht einmal zurechtfinden würde. „Wir wussten ja nicht, was kommt, ob wir in Deutschland bleiben dürfen oder zurück müssen“, erinnert sich Yakup Özdemir.

Er lebte vier Jahre bei Verwandten, mit dem Abitur in der Tasche durfte er 1980 zurück nach Wuppertal. Hier besuchte Yakup Özdemir zunächst die Hauptschule, später machte er an einer Berufsschule seinen Abschluss. Gerne hätte er studiert, der Elektronik gehört die Liebe von Yakup Özdemir, die Aufnahmprüfung für die Uni in Essen hatte er sogar bestanden. Doch das Geld dafür war nicht da: Zumal er seine Ehefrau, die er 1986 geheiratet hatte, nachholen und das gemeinsame Auskommen finanzieren musste, nahm Yakup Özdemir eine Arbeit in einem Gelsenkirchener Schlachthof auf: „Das war sehr hart, aber ich musste die Arbeit nehmen, denn sonst hätte meine Frau keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen.“

„Damit ich weiß, wohin ich gehöre“: „Ich bin Deutscher…“

Dass die Firma pleite ging, wurde dann zum Glücksfall für den Küllenhahner: Yakub Özdemir bewarb sich bei der Stadt und wurde genommen. Zunächst beim Forstamt tätig, wechselte er dann in den Hausmeister-Dienst – und wurde nicht nur Liebling der „Süd“-Schüler, sondern erlebte auch sein persönliches Happy-End. Noch immer in einer früheren städtischen Hausmeister-Wohnung am Lavaterweg zu Hause, ist Yakup Özdemir das, was man wohl als ein Musterbeispiel für Integration bezeichnen würde: Der verheiratete Vater zweier erwachsener Kinder ist seit 22 Jahren städtischer Mitarbeiter und engagiert sich zudem für ein Miteinander von Migranten und Deutschen im „Gegenseitige Hilfe Verein“.

Aber als was fühlt sich der 52-Jährige: „Ich bin Deutscher“, sagt Yakup Özdemir: Er sei in zwei Kulturen aufgewachsen, seine Bindungen zur alten Heimat seien aber weitgehend verloren. Ein ganz natürlicher Prozess sei das, wie bei den Ostpreußen oder Schlesiern, die einst hier hin kamen, würden die Bande von Generation zu Generation weniger: „Meine Kinder haben hier ihre Welt aufgebaut.“ Seit etwa 20 Jahren hat Yakup Özdemir den deutschen Pass: „Damit ich weiß, wohin ich gehöre, ich mich sicher fühlen kann und meine Kinder eine sichere Zukunft haben.“

Sehnsucht nach der „alten Heimat“? Für den Urlaub ja“

Özdemirs Kinder ahnen wenig von den Strapazen, die ihre Großeltern einst dafür auf sich nahmen. „Sie haben in zwei Welten und von Tag zu Tag gelebt, immer in der Angst, morgen wieder zurück zu müssen“, blickt Yakup Özdemir zurück. Vater und Mutter hätten stets gespart und viel für das Heimat-Städtchen Cepni gespendet – auch um es dort nach der Rückkehr einmal besser zu haben. Doch sie sind geblieben bis zum Tod, um schließlich in der Heimat beerdigt zu werden, nach der sie immer Sehnsucht hatten. Sehnt auch er sich nach Cepni? „Für den Urlaub ja“, sagt Yakup Özdemir, „aber dann freue ich mich auch zurückzukehren“ – nach Deutschland, nach Wuppertal, nach Küllenhahn…