24.09.2019, 19.43 Uhr | Meinhard Koke | Artikel drucken | Instapaper | Kommentare
„Der Gott des Gemetzels“: Viel mehr als ein Spaß im TiC-Theater
Mit „Der Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza brachte Regisseur Thomas Gimbel eines der erfolgreichsten Theaterstücke der letzten Jahrzehnte im TiC-Theater auf die Bühne. Warum die Komödie seit 2006 landauf, landab zu sehen ist, wird schnell klar, nachdem die Scheinwerfer angegangen sind: Zwei Ehepaare liefern sich einen Schlagabtausch, der kultiviert beginnt und schließlich sogar ins Körperliche eskaliert – Yasmina Rezas Charakterstudie des Bürgertums wartet mit Spaß und Beigeschmack auf.
Grund für das Treffen der Ehepaare Holle und Rheil: Rheil-Spross Ferdinand hat Holle-Sohn Bruno auf dem Spielplatz die Schneidezähne ausgeschlagen – mit einem Stock. Um einen „Täter-Opfer-Ausgleich“ ihrer Söhne auf den Weg zu bringen, suchen Annette und Arne Rheil die Holle-Eltern Veronika und Michael auf. Beide Elternpaare könnten unterschiedlicher kaum sein: Hie der geschäftige Anwalt und die erfolgreiche Vermögensberaterin (Rheil), da die weltverbesserische Moralistin Veronika und ihr hemdsärmliger Ehemann Michael, der Verschleißteile verkauft. So unterschiedlich beide Paare sind, so sehr sind sie sich aber einig: Sie möchten die blutigen Geschehnisse einer pädagogisch-sinnvollen Lösung zuführen – wie das eben vernünftige Eltern tun, denn: „Zum Glück gibt es die Kunst des zivilisierten Umgangs…“
Zwischen Clafoutis und Kokoschka: Kultiviertheit auf dem Prüfstand
Das Güte-Treffen lässt sich kultiviert an: Veronika tischt köstliche Clafoutis-Häppchen auf, man betreibt Small-Talk und tauscht Höflichkeiten aus. Dass Veronika in ihrem Protokoll der „Bluttat“ das Wort „bewaffnet“ verwenden will, sorgt zwar kurz für eine atmosphärische Störung, auch die ständigen Telefonate von Anwalt Arne nerven – ganz zivilisiert verständigt man sich aber. „Toll wie gelassen sie reagieren“, findet Annette – ob sie das auch so könnte…? Man hat sich schon fast getrennt, da flackern erneute Misstöne auf: Sein Sohn sei ja schon ein Wilder, gibt Arne zu – Ehefrau Annette hält dagegen.
Dass Arne keine Zeit für das Aussöhnungsgespräch mit den Kindern hat, stößt Veronika auf: Das gehe nicht: Der Vater, also Arne, gehöre dazu! Einmal mehr klingelt Arnes Handy – die Genervtheit wächst. Veronika und Michael hören mit an, wie Arne einen Medikamenten-Skandal vertuschen will – betretenes Schweigen wird mit höflichen Floskeln zu überwinden versucht. Als Veronika einmal mehr ins Moralisieren verfällt, nervt auch das – sie seien dereinst auch Bandenanführer gewesen, relativieren Arne und Michael – und Michael hat sogar Didi Lackmann verprügelt… Das ruft natürlich wieder Weltverbesserin Veronika auf den Plan; als erneut das Handy klingelt, platzt Annette der Kragen: Sie schreit auf, ihr wird schlecht, sie muss sich übergeben.
Von der Sandkasten-Prügelei zum „Bürgerkrieg am Couchtisch“
Dass Erbrochenes ausgerechnet den längst vergriffenen Kokoschka-Bildband auf dem Couchtisch trifft, ist für Veronika ein Schock: Ob der Bildband gerettet werden kann, ist das Wichtigste. Als dann auch noch Michaels Mutter aus dem Krankenhaus anruft und berichtet, dass sie Arnes Medikament mit den gefährlichen Nebenwirkungen einnehmen soll, da entgleitet der kultivierte Umgang den Ehepaaren zusehends – die erfolgreichen Rheils, die gute Veronika, der väterliche Michael – ihre Fassaden bröckeln. Mal paarweise, mal paarübergreifend fallen sie übereinander her, ein Gemetzel beginnt – immerhin ohne Stock!
Inmitten einer gediegenen Kulisse aus moderner Kunst, afrikanischen Skulpturen, Kokoschka-Bildband und ledernen Sitzmöbeln (Bühnenbild: Jan Bauerdick und Benedikt Fiebig) entspinnt sich aus einer Sandkasten-Prügelei ein „Bürgerkrieg am Couchtisch“ – ein Gemetzel, das sich so in vielen Wohnzimmern zutragen könnte. Sabine Henke und Alexander Bangen als Veronika und Michael Holle sowie Elisabeth Wahle und Sebastian Freund als Ehepaar Rheil geben die vier so unterschiedlichen Charaktere brillant – das Kammerspiel fesselt den Zuschauer, gespannt fragt es sich: Wie sehr mag ihnen die Kultiviertheit noch abhanden kommen, wie weit mögen ihre Masken noch fallen, wie stark mögen sie noch auf Sandkasten-Niveau sinken…?
Spaß mit Fragezeichen: Wer griffe da nicht zum Stock?
Von einem „Turnier unter Großmeistern“ ist in einer Kritik zur Erfolgs-Verfilmung des Reza-Stückes von Roman Polanski die Rede – Sabine Henke und Elisabeth Wahle sowie Alexander Bangen und Sebastian Freund sind die großmeisterlichen Fußstapfen nicht zu groß. Das entlarvende TiC-Gemetzel macht Spaß, bringt den Zuschauer aber ebenso ins Grübeln: Bringt es mich nicht auch auf die Palme, wenn er laufend am Handy ist, würde ich mein Kind nicht auch für alles verteidigen, geht mir diese zur Schau gestellte Weltverbesserei nicht auch gehörig auf die Nerven – und was, wenn mein schönes Sofa vollgekotzt würde, haute ich dann nicht auch mit einem Stock drauf…?
Gratulation an TiC-Regisseur Thomas Gimbel und sein Ensemble: Sie spielen ein großartiges Turnier, das im TiC keinen Sieger kennt. Das Premieren-Publikum zeigte sich begeistert und sparte nicht mit Applaus. Wer den kultivierten Spaß mit Beigeschmack selbst sehen möchte, erhält Karten unter www.tic-theater.de, via Telefon unter (02 02) 47 22 11 oder im TiC-Büro an der Hauptstraße 3.