20.03.2022, 08.00 Uhr   |   Matthias Müller   |   Artikel drucken   |   Instapaper   |   Kommentare

Veränderungen in der Kirche nötig: „Zeit des Zauderns ist vorbei!“

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Auch die Cronenberger Gemeindemitglieder Beate Gaßel (links) und Mechthild Boos stehen bewusst zur Regenbogenflagge, die seit einiger Zeit vor der Kirche Hl. Ewalde an der Hauptstraße für Veränderung weht. | Foto: Matthias Müller

Der katholische Südhöhen-Pfarrverband will weiterhin eine lebendige Kirche erhalten.

Die katholische Kirche steckt nicht erst seit gestern in einer tiefen Krise. Und diese geht auch an den vier Südhöhengemeinden nicht spurlos vorbei: Allein die Cronenberger Gemeinde Hl. Ewalde hatte im vergangenen Jahr 67 Austritte (bei etwa 3.700 Mitgliedern) zu verkraften: „Ich verstehe jeden, der geht“, zeigt Beate Gaßel vom Gemeinderat Verständnis. Zum Vergleich: 2010 traten von den damals 4.004 Gemeindemitgliedern nur 23 aus. „Um hier zu bleiben, braucht es eine starke Bindung an die Ortsgemeinde“, weiß Mechthild Boos, die auch dem Ewalde-Gemeinderat angehört.

Regenbogen-Flagge als Symbol der Kritik

Inzwischen rumort es in der katholischen Kirche so laut, dass es sogar nicht mehr zu übersehen ist: Vor dem Gotteshaus an der Hauptstraße 96 wehr seit Monaten eine Regenbogenflagge: „Wir wollen so deutlich nach außen zeigen, dass ebenso Menschen, die gleichgeschlechtlich lieben oder queer sind, willkommen sind“, betonen Boos und Gaßel. Mitglieder des Gemeinderates und Kirchenvorstandes auf den Südhöhen gehören zu den Mitinitiatoren der Bewegung: „Queere Menschen haben die gleichen Rechte“, bekräftigt Beate Gaßel. „Denn Gott macht keinen Unterschied“, ergänzt ihre Kollegin Mechthild Boos.

Ebenso sind sich die beiden Dörperinnen über die bundesweite Aktion „Maria 2.0“ einig – es sei ein Schlagwort für den dringend nötigen Neubeginn in der Kirche. Auch in St. Hedwig und der Hl. Ewalde beteiligten sich Gemeindemitglieder: „Frauen müssen für alle Weiheämter zugelassen werden“, fordern Boos und Gaßel.

„Vertrauen verspielt“: „Verhältnis zu Köln ist zerstört“

Auf den Südhöhen habe man noch Glück: Es gebe ein Leitungsteam aus Ehren- und Hauptamtlichen, dem Frauen und Männer jeden Alters angehören: „Unsere vier Südhöhen-Gemeinden entscheiden geschwisterlich“, unterstreicht Beate Gaßel. Maßstab seien dabei nur die jeweiligen Talente, die Stärken Einzelner, um effektiv und mit Freude wirken zu können: „So gibt es ein buntes Gemeindeleben – auch die Regenbogenflagge war eine Entscheidung des Leitungsteams“, berichtet Mechthild Boos.

Dass sich in der katholischen Kirche vieles ändern muss, darüber sind sich Gaßel und Boos einig. Der Kölner Kardinal Woelki habe „alles Vertrauen verspielt“: Dass das Verhältnis zerstört sei, ist kein Einzelfall: Ausdruck dessen ist auch eine repräsentative Forsa-Umfrage, laut derer 82 Prozent der Kirchenmitglieder im Erzbistum der Ansicht sind, Papst Franziskus solle den an Aschermittwoch aus seiner „Auszeit“ zurückgekehrten Woel­ki absetzen. 92 Prozent sind gar der Meinung, der Kardinal hätte längst die Konsequenzen aus den Verfehlungen der Kirche in den letzten Jahren ziehen sollen.

Anfang Februar sandten die Wuppertaler Kirchenvorstände und Pfarrgemeinderäte einen Brandbrief an das Erzbistum Köln. „Viele sind trotzdem noch da, aber es gibt eine innere Emigration“, berichtet Beate Gaßel. „Wir müssen uns gegenseitig stärken. Es ist unsere Kirche. Wir wollen sie nicht denen überlassen, die sie zerstören. Kirche und Gemeinde sind uns wichtig“, bekräftigt Gaßel.

„Kipppunkt erreicht“: „Die Zeit des Zauderns ist vorbei“

Auch zu den Missbrauchsfällen haben die Gemeinderätinnen eine klare Meinung: Man ist natürlich schockiert und findet, dass mit den Betroffenen zu wenig gesprochen werde: „Kirchenleute in Leitungsämtern ducken sich weg – das darf nicht sein“, fordert Mechthild Boos deutlich mehr Verantwortungsbewusstsein. Denkverbote dürfe es nicht geben, über eine Aufhebung des Pflichtzölibats müsse man ebenso nachdenken wie über Frauen in Weiheämtern. „Die Zeit des Zauderns ist vorbei, es ist ein Kipppunkt erreicht!“

„Es müssen die Zeichen der Zeit erkannt werden“, meint auch Be­ate Gaßel. Es gäbe eine veraltete Sexualmoral, man passe sich nicht den äußeren Umständen an. Tradition und neue Erkenntnisse dürften sich nicht widersprechen, betonen die beiden Dörperinnen. Und Beate Gaßel fügt ernüchtert hinzu: Wofür die Kirche heute noch stehe, das könne sie ihren Kindern kaum noch erklären…