15.03.2023, 17.38 Uhr   |   Meinhard Koke   |   Artikel drucken   |   Instapaper   |   Kommentare

„Gaslicht“: TiC startet mit perfide-packendem Thriller ins Spieljahr

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Spannen ihre Zuschauer „auf die Folter“: das beeindruckende Darsteller-Ensemble des Psycho-Thrillers „Gaslicht“ im TiC-Theater. | Foto: Martin Mazur

Wenn nicht gerade spannungsgeladene Musik aus den Lautsprechern flirrte, konnte man im neuen TiC-Theater eine Stecknadel fallen hören: Gebannt verfolgte das Publikum an der Borner Straße die Premiere von „Gaslicht“ – der Thriller-Klassiker ist der erste Neuling des Spielplans 2023. Und mancher Besucher beziehungsweise Besucherin dachte sich am letzten Samstagabend – ganz im Stillen, selbstverständlich: „Was für ein Schw…!“ Diese Beleidigung war zugleich ein großes Kompliment für Philip Zangerl: Wie der TiC-Schauspieler den durchtriebenen Widerling Jack Manningham gibt, der seine Ehefrau in den Wahnsinn zu treiben sucht, war authentisch abstoßend wie schauspielerisch beeindruckend zugleich. Nicht nur deshalb litten die Premierengäste umso mehr mit Bella Manningham: Auch weil Leonie Hackländer das Opfer der Psycho-Heimtücke ihres Gatten so liebreizend spielt, es so deutlich wird wie verletzlich sie ist und sie perfide Stück für Stück zerbrochen wird, flogen ihr die Herzen zu – hier der finstere Ränkeschmied, dort sein scheinbar willfähriges Opfer, dieses Spannungsfeld bannt die Zuschauer geradezu in den bequemen Samtsitzen des neuen Theaters.

Der Psycho-Thriller stammt aus der Feder des britischen Dramatikers Patrick Hamilton. 1938 geschrieben, spielt es im viktorianischen London des Jahres 1880. Hier haben Jack Manningham (Philip Zangerl) und seine Frau Bella (Leonie Hackländer), erst seit vier Jahren liiert, vor einiger Zeit ein Haus bezogen. Während das oberste Stockwerk brach liegt, lassen sich die Manninghams darunter von Hausdame Elizabeth (Monika Owart) und Dienerin Nancy (Livia Caruso) umsorgen. Für Bella dennoch eher Horror als heile Welt: Wenn ihr Mann vor allem abends viel „geschäftlich“ unterwegs ist, hört sie aus dem unbewohnten Stockwerk darüber Schritte – auch das Gaslicht flackert…

Ungleich mehr Sorgen macht Bella ihr eigener Zustand: ein Bild verschwindet von der Wand – und taucht im Ankleidezimmer wieder auf; die Einkaufsrechnung liegt nicht mehr dort, wo sie diese ihrem Mann zum Bezahlen hingelegt hat; die Pfoten des Hundes sind verletzt worden… und auch die Brosche, die der (scheinbar) liebende Jack ihr schenkte, ist spurlos verschwunden – für Jack ist der Fall klar: Bella ist krank, sie ist auf dem Wege, wahnsinnig zu werden – wie ihre Mutter, die einst jung in einer Anstalt starb. Jack scheint hin- und hergerissen: Gerade noch der liebreizende Gatte, bringen ihn Bellas „Aussetzer“ auf die Palme – so geht es nicht mehr weiter, ärztlicher Rat muss her, die Anstalt naht – der zunehmend an sich selbst (ver-) zweifelnden Bella droht dasselbe Schicksal wie der Mutter…

Perfides Spiel als Vorlage für Psycho-Gewalt

Verschärft wird Bellas Genese durch Jacks Verhalten zur Dienerschaft: Mit Nancy flirtet er provozierend (un-)verblümt, zugleich stellt er Bella vor der Dienerin bloß – und motiviert diese damit geradezu zu demütigenden Respektlosigkeiten gegenüber Bella. Jack spielt sein Spiel auch vor Hausdame Elizabeth, sie indes durchschaut es – und lässt in Jacks Abwesenheit Sergeant Rough ins Haus. Er versucht Bella klarzumachen, dass sie nicht verrückt ist, dass Jack sie missbraucht, dass in der Wohnung obendrüber einst Alice Barlow wohnte, die wegen ihrer Juwelen ermordet wurde. Doch Bella kann ihm nicht glauben: Nein, Jack liebt sie doch, „ich bin krank“, ist sie überzeugt, wie Efeu mit einer Hauswand ist sie mit ihrem Mann verbunden…

Sieben Oscar-Nominierungen für die Verfilmung

Der Psycho-Thriller fesselte sein Publikum von Anfang an: nach der Premiere 1938 lief „Gaslicht“ sechs Monate lang in London und ab 1941 fast 1.300 Aufführungen lang am Broadway. Das als „einer der besten Thriller“ bezeichnete Stück wurde zweimal verfilmt, unter dem Titel „Das Haus der Lady Alquist“ (1944) schaffte der packende Stoff es zu sieben Oscar-Nominierungen, von denen Ingrid Bergman den Preis als Beste Hauptdarstellerin errang. So man davon sprechen kann: „Prädikat“ des Thrillers ist auch, dass er den Begriff „Gaslighting“ inspirierte. Dieser bezeichnet in der Psychologie eine Form von psychischer Gewalt, bei der das Opfer durch fortgesetzte Lügen, Leugnen und Einschüchterungstaktiken so manipuliert wird, dass es an seinem eigenen Verstand zweifelt.

Vom Tweed bis zum Schuh: Hervorragende Inszenierung

Die Inszenierung von Regisseur Ralf Budde bringt diese packend-perfide Dramaturgie auf die TiC-Bühne, welche Jan Bauerdick und Benedikt Fiebig (auf das Kammerspiel passend konzentrierend) schlicht-düster eingerichtet haben – mit dem Fenster-Blick auf das nebelige London vor der Tür und flackernden Gaslichtern an der Wand…! „Ein ungebrochen spannender Psychokrimi, (…), hervorragend inszeniert und gespielt“ – was der „Filmdienst“ der Verfilmung attestiert, gilt auch für die TiC-Adaption: Neben den – so und so – packenden Hauptfiguren brillieren Livia Caruso als aufreizend-freches Dienstmädchen und Monika Owart als Hausdame, deren Zerrissenheit zwischen pflichtbewusstem Gehorsam und menschlicher Anteilnahme eindrucksvoll spürbar wird. Zum Publikums-Helden des Abends avanciert nicht zuletzt Christoph Güldenring: Vom Scheitel über den Tweed bis zur Sohle seiner sicherlich rahmengenähten klassischen Herrenschuhe (durchweg wunderbare Kostüme von Noelle-Magali Wörheide) verkörpert Güldenring glaubwürdig den ebenso beharrlichen wie gewieften Sergeant Rough, den (auch das Publikum) beruhigenden Retter in höchster Not.

Begeistert: Langanhaltender Applaus für Premiere

Während das Theaterstück als „Reißer“ bezeichnet wurde, wurde der Film als „kriminalistisches Kammerspiel mit starken atmosphärischen Momenten“ gewürdigt – im TiC ist es umgekehrt: Der Psycho-Thriller an der Borner Straße ist ein spannungsgeladener Einstieg ins Spieljahr 2023 – mit langanhaltendem Applaus feierten die Zuschauer die Premiere, das packende Kammerspiel wird das TiC-Publikum sicherlich ähnlich lange wie in London in den samtenen Theatersesseln fesseln – zu Recht! Wer einen packenden Abend im TiC-Theater verleben möchte, Karten für den Thriller „Gaslicht“ gibt es unter Telefon (0202) 47 22 11, im Theaterbüro an der Hauptstraße 3 oder online unter tic-theater.de.