07.12.2023, 16.48 Uhr | Marion Heidenreich | Artikel drucken | Instapaper | Kommentare
„Cancel Culture“: Uni-Soziologe Imbusch beim „Offenen Abend“
Der erste „Offene Abend“ nach der verlängerten „Sommerpause“ stand ganz im Zeichen von „Cancel Culture“. Auf Einladung von Initiatorin Birgit Schaffer referierte Prof. Dr. Peter Imbusch in der Johanneskirche der evangelischen Südstadt-Gemeinde. Der Lehrstuhl-Inhaber „Soziologie der Politik“ an der Bergischen Universität sprach über ein eigentlich altes Phänomen, das durch Internet und Social Media neue Dynamik erhalten hat. Der aus Amerika stammende Begriff impliziert eine „Kultur der Absage“, also der Anprangerung, des Boykotts bis hin zum Ausschluss von kontroversen Äußerungen, Handlungen oder Ansichten, erläuterte Imbusch den interessierten Zuhörern in seinem Vortrag unter der Fragestellung: „Cancel Culture – Eine Gefahr für die Gesellschaft?“
Ausgehend von der US-Bürgerrechtsbewegung könne „Cancel Culture“ als „Kampfbegriff“ gesehen werden, der dazu diene, „gegen diskriminierendes, beleidigendes oder schädliches Verhalten vorzugehen“ und durch öffentlichen Druck zu verändern. Als ideologischen Vorläufer bezeichnete der Soziologe die Bewegung für Political Correctness an US-Universitäten seit den 1980er-Jahren. Besonders in den letzten Jahren habe sich „Cancel Culture“ in den Sozialen Medien zu einem Medienphänomen entwickelt. Auf der einen Seite das Bestreben nach Political Correctness, andererseits die Überdimensionierung von „Nichtigkeiten“ sowohl von politisch Linken als auch Rechten. Erschwerend, so Imbusch weiter, käme hinzu, dass es nicht „um die Sache an sich, sondern um eine Werteverknüpfung damit geht“. Oder wie Imbusch es präzisierte: „Es geht nicht nur darum, was wie gesagt wird, sondern auch darum, wer wann und wo für wen spricht, wer was wann und wo nicht sagen darf – und wie sich das entwickelt hat.“
Funktionsweise von „Cancel Culture“
Ohne das Internet und Social Media wäre die Debatte um „Cancel Culture“ undenkbar: Erst hier erhält die „moralische Empörung“ öffentliche Aufmerksamkeit – und lenke dabei von wesentlich wichtigeren gesellschaftlichen Problemen ab. Beim Streit darüber, was „moralisch“ vertretbar ist, das „Gut-Menschentum“, „geht die sachliche Auseinandersetzung dann manchmal flöten“, sagte der Soziologe. Zur Verdeutlichung benannte Imbusch einige Beispiele aus Konfliktfeldern wie Sexismus, Comedy, Genderfragen und Identitäten. Dabei erinnerte er an die Kuss-Affäre um Luis Rubiales, Trigger-Warnungen bei Filmen und älteren TV-Formaten oder auch das „Verbot“ des „Ballermann-Hits“ „Layla“. Bei aller Empörung über „gesellschaftliche Skandale“ riet Soziologe Peter Imbusch, sich doch auch selbst zu (hinter-)fragen: Muss das wirklich gecancelt werden? Oder gibt es nicht wichtigere Probleme? Und: Wem dient das eigentlich…?
Nächster Offener Abend dreht sich um das „Nichts“
Das Nichts – gibt es das überhaupt? Eine Antwort gibt’s am 14. Dezember in der Johanneskirche: In der Reihe „Offene Abende“ wird dann Michael Winkhaus ab 19.30 Uhr zum Thema „Otto sucht das NICHTS – 350 Jahre ,Experimenta Nova’ von Otto von Guericke” berichten. Zu dem Experimentalvortrag wird sich der Vortragsraum an der Altenberger Straße 25 in ein Physiklabor verwandeln. Der Eintritt zu dem Abend mit dem Lehrer am Carl-Fuhlrott-Gymnasium und Initiator der dortigen Schülersternwarte ist wie immer frei.