11.06.2024, 19.44 Uhr   |   Marion Heidenreich   |   Artikel drucken   |   Instapaper   |   Kommentare

75. Geburtstag: „Offener Abend“ im Zeichen des Grundgesetzes

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Organisatorin Annette Leuschen mit Prof. Habbo Knoch (mi.) und Volker Niggemeier vom Katholischen Bildungswerk. | Foto: Marion Heidenreich

Am 23. Mai feierte das Grundgesetz seinen 75. Geburtstag. In Artikel 1, Absatz 1 heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Im Weiteren enthält der Artikel 1 das Bekenntnis zu den Menschenrechten, das Streben nach Frieden und Gerechtigkeit und die Festsetzung dann benannter Grundrechte als geltendes Recht. Grund genug, sich anlässlich des Jubiläums der Verfassung näher mit dem Begriff der Menschen würde, ihrer Entstehung, Bedeutung und Gefährdung seit Gründung der Bundesrepublik bis heute zu beschäftigen. Dabei gab es neben der Aktualität der Frage „Ist die Menschenwürde antastbar?“ auch eine andere Besonderheit beim „Offenen Abend“ in der Johanneskirche: Die Veranstaltung der evangelischen Südstadt-Gemeinde fand in Kooperation mit dem Katholischen Bildungswerk Wuppertal statt, und zudem an einem (für die Südstadt-Reihe) außergewöhnlichen Montag.

Die Menschenwürde als Leitidee

„Experten in der Frage der Menschenwürde sind wir doch alle“, begann Prof. Habbo Knoch, Dozent für Geschichte an der Universität Köln, mit dem historischen Verständnis von Menschenwürde. Als verfassungsrechtliche Leitidee sei sie auch ein moralisches Postulat, ein Statement gegen staatliche und politische Instrumentalisierung, und besonders gegen den Faschismus gerichtet. „Der Staat ist um des Menschenwillen da, nicht der Mensch um des Staates willen“, zitierte Knoch aus Beratungsprotokollen den Gedanken dahinter. Anders als beispielsweise in der UN-Charta der Menschenrechte erhält Menschenwürde im Grundgesetz eine Rechtsetzung: Sie ist nicht Teil der vorgelagerten Präambel, sondern ein verbindliches Grundrecht. Sie ist außerdem, um es mit Theodor Heuss zu sagen, „etwas dem Staat Vorgelagertes, das aus sich selbst legitimiert wird“. Daran werde deutlich, dass es keine feste Definition der Menschenwürde gibt. Für die Eltern des Grundgesetzes sollte sie als moralischer Kompass dienen, als Schutz vor Totalitarismus.

Die Unantastbarkeit der menschlichen Würde

Im Laufe der letzten 75 Jahre wandelte sich das gesellschaftliche Begriffsverständnis des „moralischen Ankers“, so der Historiker weiter: Menschenwürde verändert sich von einem nationalen christlich-humanistisch geprägten Wertekanon hin zu einem globalen, universellen humanitären Konzept. Aber was ist mit der Unantastbarkeit der Würde des Menschen? In der jungen Bundesrepublik, so erklärte Knoch, basierte Artikel 1 auf einer Idee der „Selbstzweckformel“. „Würde als innere menschliche Anlage, aus der Fähigkeit der Vernunft begründete Gattungswürde und damit für alle Menschen gültig.“ Allein dadurch wird Würde unantastbar. Ab den 1960er-Jahren verlor die Würde aber das „Pathos als Moralkompass“ des Parlamentarischen Rates.

Mit zunehmender Demokratisierung und Liberalisierung, mit Gleichberechtigung und ökonomischer Globalisierung wandelte sich das Verständnis von Würde zu einem Recht der individuellen Selbstbestimmung und der „Unverletzbarkeit von Leib und Seele“. Die Würde des Menschen wurde ab den 1980er-Jahren zum „Schutzraum von Persönlichkeit“. Genau dieser Schutzraum, die Frage nach dem Schützenswerten, habe bis heute nicht an Kraft verloren. Menschenwürde und Menschenrechte sind im heutigen gesellschaftlichen Diskurs eng miteinander verzahnt. Für die deutsche Zivilgesellschaft, so erläuterte der ehemalige Leiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen, heiße es weiterhin, sich zur Würde zu bekennen. Ihre Verteidigung gegen fundamentale Angriffe sei das oberste Gebot – denn: „Menschenwürde gilt für alle“…

Buchtipp & nächster Termin

Eigentlich als kurzer Essay zur Menschenwürde geplant, während Corona dann als Buch entstanden: Habbo Knoch: „Im Namen der Würde. Eine deutsche Geschichte“ ist unter der ISBN 978-3-446-27416-7 für 29 Euro im örtlichen Buchhandel bestellbar. Am kommenden Donnerstag, 13. Juni (19.30 Uhr), lädt Initiatorin Annette Leuschen zu einem musikalischen „Offenen Abend“ in die Johanneskirche an der Altenberger Straße 25 ein. Hier wird Prof. Dr. Lutz-Werner Hesse, dem gerade erst der Von der Heydt-Kulturpreis der Stadt zuerkannt wurde, mit Gabriel Fauré den „Meister der leisen Töne“ vorstellen. Musikalische Unterstützung kommt dabei von Christine Göbel (Querflöte, Klavier) und Celine Kammin (Klavier, Gesang). Der Eintritt ist wie immer frei.