18.06.2024, 16.16 Uhr   |   Meinhard Koke   |   Artikel drucken   |   Instapaper   |   Kommentare

Weniger kann auch mehr sein…! Pfarrerin Hartmann verabschiedet

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Für ein Abschiedsfoto nahmen die Teilnehmer des Festgottesdienstes zur Verabschiedung der Küllenhahner, darunter auch ihre Kollegen Niklas Schier und Thomas Hoppe, Pfarrerin Dr. Sylvia Hartmann in ihre Mitte… | Foto: Meinhard Koke

Auch wenn sich die Küllenhahner Straßen einige Tage zuvor nach einem Hagelsturm noch weiß präsentiert hatten und obwohl der Posaunenchor Cronenberg (wie sonst nur an Heiligabend) an der Gemeindehaus-Pforte ein Ständchen gab – natürlich war nicht Weihnachten! Aber so voll wie an Heiligabend präsentierte sich am vergangenen Sonntag der Gottesdienst im Gemeindehaus, als die Evangelische Gemeinde Cronenberg-Küllenhahn Pfarrerin Dr. Sylvia Hartmann in den Ruhestand verabschiedete. Nachdem die Gemeinden Cronenberg und Küllenhahn Anfang des Jahres fusioniert hatten, endete damit endgültig die Ära der zuvor kleinsten selbstständigen evangelischen Gemeinde Wuppertals – fast 70 Jahre nach ihrer Gründung im Jahr 1955.

„Halb“ am Küllenhahn, „halb“ in der Krankenhaus-Seelsorge

Nachdem Evangelisch-Küllenhahn zuvor ebenso energisch wie letztlich erfolgreich für den Erhalt seiner Selbstständigkeit eingetreten war, musste Sylvia Hartmann „Abstriche“ hinnehmen: Als sie vor 19 Jahren ihren Dienst an der Nesselbergstraße antrat, war die Küllenhahner Pfarrstelle halbiert worden – ihre andere halbe Stelle leistete Hartmann in der Krankenhaus-Seelsorge zunächst in der Landesfrauenklinik und zuletzt im Helios-Klinikum: „Ich war als Allrounderin unterwegs“, blickt die Pfarrerin auf die „abwechslungsreichen“ letzten zwei Jahrzehnte zurück: „In einer kleinen Gemeinde, wie es Küllenhahn war, muss man sehr viele unterschiedliche Aufgaben übernehmen.“

Zumal die Zeit der letzten Küllenhahn-Pfarrerin – wie überall – von einem drastischen Mitgliederrückgang geprägt war: Zählte die Küllenhahner Gemeinde vor 20 Jahren noch rund 1.110 Mitglieder, so hatte sie zuletzt noch rund 820 „Schäfchen“… Darauf hob Sylvia Hartmann in ihrer Abschiedspredigt ab. Sie reihte sich ein in die vielen Predigten zuvor: nicht abgehoben, aus dem Leben gegriffen, bilderreich und zum Nachdenken anregend. „Die Predigt in der Krise“ titelte im vergangenen Jahr ein christliches Online-Portal: Predigen sei ebenso eine Kunst wie ein Wagnis: „Die Predigt soll gefallen und provozieren. Anstöße geben, aber nicht anstößig sein. Unterhaltsam und tiefgehend. Kurz und zugleich gehaltvoll. Aktuell, politisch und persönlich. Relevant eben…“ – das Fazit des Online-Artikels: „Eigentlich kannst du als Predigerin oder Prediger nur scheitern…“

Durfte sich zu ihrem Abschied über „Platzkonzert“ des Posaunenchores Cronenberg freuen: Küllenhahns Altpfarrerin Dr. Sylvia Hartmann (vo. mi.). | Foto: Meinhard Koke

Durfte sich zu ihrem Abschied über „Platzkonzert“ des Posaunenchores Cronenberg freuen: Küllenhahns Altpfarrerin Dr. Sylvia Hartmann (vo. mi.). | Foto: Meinhard Koke

Persönlich und Kirche: „Verschlanken ist angesagt…!

Ob sie das in den vergangenen rund 20 Jahren immer vermeiden konnte, wer weiß, aber: Für ihre Predigten wurde Sylvia Hartmann vielfach geschätzt! In ihrer letzten nahm sie die Gemeinde mit an ihren Kleiderschrank: „Sylvia, du musst schlanker werden…“, habe sie gedacht, als sie ihre Sommer-Kleidung sortierte. Und das gelte nun auch für ihren Ruhestand: Von ihrer (Dienst-)Wohnung werden die Amtsräume abgetrennt und zu einer „Studentenbude“ umgebaut; sie verliere Kontakte und Ansehen, anderseits sei der Ruhestand auch mit Gewinn verbunden – so einem Mehr an Zeit, das Sylvia Hartmann (auch) für die Aufnahme eines Senioren-Studiums der Literaturwissenschaften nutzen möchte.

Von ihrer persönlichen „Verschlankung“ schlug die Pfarrerin den Bogen zum „Abnahmeprozess“ der Kirche: Die vielen Austritte schmerzten, die unfreiwillige Verschlankung habe Auswirkungen auf das Personal, Gebäude und Verwaltungsprozesse: „Kirche ist ihr Erscheinungsbild um einiges zu groß geworden – und ich fürchte, das Ende ist noch nicht erreicht.“ Zunehmen sei vergleichsweise einfach, abnehmen indes mühevoll und schwer – Sylvia Hartmann wünschte ihren jüngeren KollegInnen Kraft und Mut für diesen Prozess: „Die Sache der Kirche geht weiter.“ Hartmann zeigte sich überzeugt, dass in der „Abnahme“ zugleich etwas Neues heranwächst. Schwächere Christen rückten einander vielleicht viel näher: „Es muss kein Bedeutungsverlust sein, weniger Bedeutung zu haben.“

Im Ruhestand und ganz allgemein: „Weniger ist mehr…“

Die Pfarrerin verwies auf den Club of Rome: Bereits in den 1970er-Jahren habe dieser vor den Gefahren des Wachstums gewarnt: „Inzwischen sind viele der Schreckensszenarien wahr geworden“, sagte Hartmann, um zu unterstreichen: „Weniger kann auch mehr sein.“ Sie jedenfalls vertraue auf die Zukunft ihrer Kirche – „sie bleibt meine Kirche“. Dass weniger für Sylvia Hartmann auch ganz persönlich mehr bedeuten könnte, machten Abschiedsworte von Pfarrerin Eva von Winterfeld, die als Skriba des Kirchenkreises die Entpflichtung vornahm, deutlich: Sie sei eingeladen, weiterhin Gottesdienste zu halten („Wir brauchen Sie überall“), lud von Winterfeld Sylvia Hartmann ein.

Zeit für „Coldplay“ – und vielleicht auch Gottesdienste…?

Das, so unterstrich Pfarrer Thomas Hoppe, sei ja ein Privileg: „Wir können Pfarrer bleiben…!“ Als eine ihrer Hauptaufgaben hatte Hartmann zuvor ihre Predigten benannt – vielleicht werden sie ja nun zu einer „Nebenaufgabe“…?! Und vielleicht reicht der übrig bleibende Gewinn an (Frei-)Zeit für den Besuch eines Coldplay-Konzertes: Nach dem Lied „Viva la vida“ von Spell’88 „outete“ sich die Pfarrerin als Fanin der britischen Erfolgsband…