17.07.2024, 19.38 Uhr   |   Marion Heidenreich   |   Artikel drucken   |   Instapaper   |   Kommentare

VdK Cronenberg: Thema „Häusliche Gewalt“ aus Tabuzone geholt

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Die Organisatoren und ExpertInnen des VdK-Podiumsabends zum Thema „Häusliche Gewalt“ im „Cronenberger Festsaal“. | Foto: Marion Heidenreich

Zu einer Podiumsdiskussion zum Tabuthema „Häusliche Gewalt“ lud der Cronenberger Ortsverband des Sozialverbandes VdK in den Cronenberger Festsaal. Hier ging es den VdK-Organisatoren Berthold Gottschalk (Kreisverbandsehrenvorsitzender), Ortsvereinschef Horst Kaldyka und Moderator Matthias Müller darum, zusammen mit Experten aus den Bereichen Opferschutz, Sozialarbeit, Recht und Politik Aufklärung und Sensibilisierung zu dem alle Gesellschaftsschichten betreffenden Phänomen zu betreiben.

„Häusliche Gewalt“ betrifft in erster Linie Frauen und Kinder, aber auch Männer sind oftmals Opfer. Dabei sind die Zeichen von Gewalterfahrungen nicht immer sichtbar, denn ebenso wie Formen der physischen Gewalt gehört psychische Gewalt zu den Ausprägungen. Spuren körperlicher Gewalt werden durch Kleidung versteckt, die seelischen Narben sind derweil unsichtbar.

2022: 64.000 Opfer in NRW

Allein in NRW gab es im Jahr 2022 64.000 Opfer einer der vielen Gewaltformen, 72 Prozent davon weiblich. Täter im häuslichen Umfeld sind dabei nicht immer die Lebenspartner, sondern auch Kinder können gegenüber ihren Eltern gewalttätig werden. Oftmals sind familiäre Abhängigkeitsverhältnisse ein Grund, warum Opfer ihre Peiniger nicht anzeigen. Den Einstieg in den VdK-Abend bildete die Schilderung des Betroffenen Tumucin El-Galuszka. Eindrucksvoll schilderte der 49-Jährige im Gespräch mit Matthias Müller von der „Handarbeit“ des Vaters, der die Mutter, aber auch Sohn und Töchter regelmäßig verprügelte. Rache-Fantasien gegen den eigenen Vater gehörten genauso zu seinem kindlichen Lebensalltag wie auch Mobbing-Erfahrungen im Schul-Umfeld. Aber auch die Opfer-Täter-Umkehr, also selbst zum Täter zu werden, gehörte zu El-Galuszkas Erfahrungen – aufgrund seiner Sehbehinderung allerdings in psychischer Form. Durch das Sprechen über sein Gewalt-Trauma und sein späteres Studium der Sozialen Arbeit konnte El-Galuszka die Gewaltspirale durchbrechen: „Ich bin hier, weil man darüber sprechen muss – den Heilungsprozess so anregen.“

„Nicht wegschauen“

In Tumucin El-Galuszkas Kinder- und Jugendzeit endete die „Hilfe“ der Schule oft im Elterntelefonat – die Folge: noch mehr Misshandlungen…! Seitdem haben sich institutionelle Hilfe- und Unterstützungsabläufe zwar verbessert, sind aber weiterhin auf ein aufmerksames Umfeld und institutionsübergreifende Zusammenarbeit angewiesen. Auf dem Podium gaben unter anderem Klaudia Duhr (Weißer Ring), LVR-Fallmanagerin Sandra Jüppner, Christina Roddewig-Oudnia (Leiterin des Wuppertaler Jugendamtes) oder auch mit Traumapädagogin Vanessa Patz die VdK-Sozialpolitk-Referentin Einblicke in die Opferschutz-Arbeit.

Ohnmacht rechtlicher Hilfe

Bei Fällen von häuslicher Gewalt, so erklärten Kriminaldirektor Guido Liedke und Oberamtsanwältin Christina Bock, arbeiteten Polizei und Staatsanwaltschaft eng mit Jugendämtern und Frauenhäusern zusammen. Die Trennung von Täter und Opfer steht im Vordergrund: durch Wohnungsverweis, Einstweilige Verfügungen, Inobhutnahme der Kinder oder den Umzug in eines der Frauenhäuser. Sofern hier ein Platz ge- funden werden kann, denn: Deutschlandweit fehlen rund 13.000 Plätze zum Schutz von betroffenen Frauen, berichtete mit Martina Zsack-Möllmann die Geschäftsführerin des Solinger Frauenhauses.

Die Ohnmacht rechtlicher Hilfe machte Oberamtsanwältin Bock deutlich: Widerrufen der Aussage und/oder Zeugnisverweigerungsrecht machten der Justiz eine Täterverurteilung schwer. „Gewalt geschieht im abgeschlossenen Raum“, erläuterte SPD-Landtags- abgeordneter Andreas Bialas zu den Problemen im politisch-rechtlichen Handeln: „Strafverfolgung, Gerichtsverfahren brauchen glaubhafte Fakten, aber oft werden gerade die Betroffenen unglaubwürdig gemacht.“ Hier seien Außenstehende gefragt, „Mut zur Hilfe mit Blick auf das Opfer“ zu leisten. Opferschutzverbände wie der Weiße Ring und der VdK sind Anlaufstellen für Betroffene. Für den Schritt hinaus aus der Gewaltspirale benötigten Opfer aber auch Unterstützung: „Es braucht den „Willen der Gesellschaft hinzuschauen…“

Wichtig bei der Hilfe von außen: Im ersten Verdachtsfall hilft es, sich mit Nachbarn und Personen aus dem familiären Umfeld auszutauschen, um den Verdacht erhärten zu können. Verdachtsfälle können jederzeit der Polizei und / oder dem Jugendamt zur Überprüfung gemeldet werden. Eine solche Meldung kann auch anonym erfolgen. Im akuten Bedrohungsfall ist sofort die Polizei zu verständigen. Anlaufstellen für Hilfeleistungen bieten Opferschutzverbände wie VdK, LVR und Weißer Ring.

Online-Infos

Das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist unter Telefon 0800 11 60 16 erreichbar. Die Anlaufstellen zum polizeilichen Opferschutz im Bergischen Städtedreieck sind unter wuppertal.polizei.nrw/artikel/polizeilicher-opferschutz-0 zu finden. Ansprechpartner des Wuppertaler Jugendamtes finden sich unter www.wuppertal.de/microsite/jugendamt/index.php. Mehr zum Opferschutz des Sozialverbandes VdK NRW ist online via www.nrw.vdk.de abrufbar.