30.01.2025, 17.38 Uhr   |   Meinhard Koke   |   Artikel drucken   |   Instapaper   |   Kommentare

Ex-Vorwerk-Chef: Bekenntnis zu Vertrauen, Vertretern & Wuppertal

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Martin Probach (li.) und Prof. Dr. Martin Fleuß (re.) konnten in ihrer Reihe „Portrait“ den jahrzehntelangen Vorwerk-Chef und Urenkel des Firmengründers, Jörg Mittelsten Scheid, im Gemeindehaus Küllenhahn begrüßen. | Foto: Meinhard Koke

Allein mit seinem Küchenwunder „Themomix“ machte die Vorwerk-Gruppe im Jahr 2023 weltweit einen Rekordumsatz von mehr als 1,7 Milliarden Euro. Als Vorwerk-Urenkel Jörg Mittelsten Scheid in der Reihe „Portrait“ zu Gast war, erfuhren die Besucher im rappelvollen Gemeindehaus Küllenhahn auch das: Wäre es nach einem Cronenberger gegangen, wäre das Vorwerk-Flaggschiff vielleicht nie entwickelt worden. Denn: Als Vorwerk Ende der 1960er-/Anfang der 1970er-Jahre am „Ur-Thermomix“ tüftelte, war es – so blickte der Ex-Vorwerk-Chef zurück – ein Mitarbeiter aus Cronenberg, der sich sicher war: Eine Küchenmaschine mit Kochfunktion – „das geht nicht…!“ Mittelsten Scheid indes ließ seinen ideenreichen Geschäftsführer jedoch weiter tüfteln – mit Erfolg: Mit dem Themomix machte Vorwerk 2023 mehr als die Hälfte seinen 3,2-Milliarden-Umsatzes.

„Vertrauen ist menschlich unheimlich wichtig…“

Die „Anekdote“ könnte als Beispiel für ein Credo von Jörg Mittelsten Scheid dienen: Wie er im Konzern denn habe die Übersicht behalten können, wollte ein Zuhörer erfahren. „Das ist eine Frage des Vertrauens“, ließ der Vorwerk-Urenkel wissen. Obwohl sein Vertrauen in seinen frühen Vorwerk-Jahren erschüttert wurde, als ein Freund ihn aus der Firma zu drängen versuchte („Das belastet noch heute“), Vertrauen blieb für Jörg Mittelsten Scheid „menschlich unheimlich wichtig“. Ebenso überzeugt gab sich der Ehrenvorsitzende des Vorwerk-Beirates von Selbstverantwortung und Eigeninitiative – nicht umsonst setzt Vorwerk auf den Direktvertrieb: Mit mehr als 100.000 selbstständigen Beratern ist der 1883 gegründete Wuppertaler Konzern das größte Direktvertriebsunternehmen Europas.

„Ich habe noch nicht einmal die Wirtschaftszeitung gelesen…“

Vertrauen oder die Übertragung von Verantwortung – zwei Aspekte des „Machers“ Mittelsten Scheid, welche Martin Probach und Prof. Martin Fleuß ihrem Gast entlocken konnten. Apropos: „Einfach machen“ stand am Anfang der Karriere des Konzernchefs. Denn: Von Haus aus ist Mittelsten Scheid Jurist, nach dem Studium hatte es ihm besonders das Völkerrecht angetan – „ich wollte eigentlich zu einer internationalen Organisation oder zur UNO“, blickte Mittelsten Scheid sechs Jahrzehnte zurück. Doch dann „grätschte“ Onkel Erich dazwischen: Dessen drei Kinder hatten sich gegen die Firma entschieden – „willst du es nicht versuchen“, fragte der Onkel daher an… Zunächst habe er das Ansinnen für absurd gehalten („Ich las noch nicht mal Wirtschaftszeitung“). Nachdem sein Professor ihm jedoch signalisiert hatte, er könne innerhalb von zwei Jahren an die Uni zurückkehren, fand Mittelsten Scheid: „Versuchen kannst du es ja mal…“

Weihnachtsspaziergang als Anstoß zum Direktvertrieb

1966 trat er in die Leitung des Unternehmens ein – und blieb dort bis zum Jahr 2005. Aus den fast 40 Jahren dazwischen und dem Vorwerk-Wandel vom Textilunternehmen zum weltweit tätigen Haushaltsgerätehersteller wusste Mittelsten Scheid an dem Portrait“-Abend manches zu erzählen: So von einem Abendessen mit dem damaligen afghanischen König Abdullah beim seinerzeitigen Bundeskanzler Erhard, dem familienintern berühmten Weihnachtsspaziergang in Wipperfürth, bei dem die Entscheidung für den Direktvertrieb fiel, oder auch einem „Toilettenproblem“ in der damaligen Möbelstofffabrik in Afghanistan… – der 89-Jährige zeigte sich redefreudig…

Weniger Bürokratie und mehr Eigeninitiative

Nicht unbeantwort ließ der 89-Jährige, was ihm zum Deutschland von heute einfalle: Eine Lähmung durch Bürokratie, kritisierte der Ex-Konzernchef („Das kann man nicht mehr begreifen“) – da gab es Zwischenapplaus an der Nesselbergstraße. Mittelsten Scheid kritisierte zudem eine mangelnde Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Die Übertragung von Verantwortung müsse schon in der Grundschule erfolgen – „wir brauchen mehr Bereitschaft, ins Engagement zu gehen“ – erneut gab es da Applaus. Mittelsten Scheids Tipp generell: „Ihr solltet das tun, was euch Spaß macht.“ Überdies erfuhren die „Portrait“-Besucher, dass Mittenwald, wo er aufs Internat ging, eine zweite Heimat von Mittelsten Scheid ist. Auch heute noch kehrt er regelmäßig dorthin zurück: „In Bayern zu leben, ist herrlich“, sagte Mittelsten Scheid, „aber nicht so schön wie Wuppertal“ – da kam Gelächter auf im Gemeindehaus.

Auch in der Ferne: „Wir fühlen uns alle als Wuppertaler…“

Auch wenn dieser Satz wohl nicht so ganz bare Münze war, der Ex-Vorwerk-Chef outete sich als bekennender Wuppertaler: „Ich fühle mich als Wuppertaler“, gab Mittelsten Scheid für die gesamte Familie ein Bekenntnis ab: „Auch wenn wir nicht mehr alle hier sind, wir sind Wuppertaler!“ Und zwar ziemlich zufriedene: Ob Skulpturenpark, Döppersberg, Nordbahntrasse oder Zoo, „ich finde, Wuppertal hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht“. Als Martin Probach und Martin Fleuß Mittelsten Scheid auf sein jüngst erschienenes Buch „Die verblassende Demokratie“ ansprachen, zog Mittelsten Scheid die Notbremse: „Sonst schlafen Sie ein…“ Die anderthalb „Portrait“-Stunden wurden auch so voll, denn die Vorwerk-Legende stellte unter Beweis: „Ich habe unglaublichen Spaß, mit Menschen zu reden…“

TV-Moderatorin Susan Link im „Portrait“

Beim nächsten „Portrait“-Abend der Evangelischen Gemeinde Cronenberg-Küllenhahn kommt ein bekanntes TV-Gesicht ins Gemeindehaus Küllenhahn: Am 7. Februar wird mit Susan Link die Moderatorin des „Kölner Treff“ oder auch des ARD-Morgenmagazins um 19.30 Uhr an der Nesselbergstraße 12 zu Gast sein. Der Eintritt zu dem Abend mit der Journalistin, die lange in Wuppertal lebte, ist frei.