07.05.2025, 15.55 Uhr   |   Marion Heidenreich   |   Artikel drucken   |   Instapaper   |   Kommentare

„Offener Abend“: Die Oper, der Suizid – und die Dramaturgie…!

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Dramaturg Günther Weißenborn bei seinem Vortrag in der Reihe „Offene Abende“ in der Johanneskirche der Südstadt-Gemeinde. | Foto: Marion Heidenreich

Der erste „Offene Abend“ 2025 befasste sich mit einem eigenartig anmutenden dramaturgischen Mittel der Oper: dem Suizid. In relativ kurzer Zeit werden im Musiktheater komplexe Handlungsstränge rund um Liebe und Krieg, Leidenschaft und Hass bis hin zur Vernichtung des Göttlichen und der Entstehung neuer Welten erzählt. Im Vordergrund der Erzählung steht in der Oper aber nicht nur die Geschichte, sondern die musikalische Darstellung von Emotionen und Situationen. Dafür gingen Opern-Autoren bisweilen buchstäblich über Leichen: In rund 30 Opern von Händel bis Britten hat Günther Weißenborn das dramaturgische Mittel der Selbsttötung gefunden – in der Johanneskirche gab der Dramaturg Einblicke in die Verwendung des Freitodes als Tabubruch und dramaturgisches Mittel.

Suizid – Ein kulturelles Tabu

Im christlichen Kontext, so erläuterte der ehemalige Co-Leiter von „Müllers Marionetten-Theater“, ist seit Augustinus die Selbsttötung eine Sünde, verstößt sie doch gegen das 5. Gebot: „Im Mittelalter wurde der Suizid-Versuch mit dem Tode bestraft“, erläuterte Weißenborn den ambivalenten Umgang mit dem Freitod im Christentum. Deutlich werde das auch an der relativ neutralen Darstellung des Selbstmörders Judas im Neuen Testament. Dagegen stehe die Selbsttötung als Rehabilitation der Ehre in der europäischen Antike oder in der asiatischen Kultur – wie in Form des ritualisierten „Seppuku“ des japanischen Samurais. Auch auf Nietzsches Auseinandersetzung mit dem „Tod aus freiem Willen“ bis hin zur modernen moralisch-ethischen Frage des „in Würde Sterbens“ und der aktiven Sterbehilfe ging Weißenborn einleitend ein.

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Dramaturgisches Mittel

In der Oper werde der Suizid nicht nur als kulturelles Tabu, sondern vor allem als dramaturgisches Element der Emotionen eingesetzt. Natürlich hatte Günther Weißenborn Beispiele mit in die Altenberger Straße gebracht. In Mozarts „Zauberflöte“ verhindern die drei Knaben gleich zwei Selbsttötungen – und ermöglichen ein glückliches Ende. Die Verzweiflung des zum Suizid bereiten Papageno, die sich beim Auftauchen Papagenas in Glückseligkeit verwandelt, war eines der bekanntesten Beispiele an dem Offenen Abend. Während die „Zauberflöte“ dennoch durchaus für Kinder umgesetzt wird, sind andere Opern-Handlungen da schon düsterer und weniger kindgerecht. In Verdis „Il Trovatore“ kommt es zu einem regelrechten „Blutrausch“ mit Hexenverbrennung, Kindstötung, Krieg und Duellen. So erscheint Leonores Selbstmord vielleicht doch als „harmlosere Todesart“ – musikalisch gesehen wird dadurch – ebenso wie in vielen anderen Opern von „Rigoletto“ über „Pique Dame“ bis „Wozzeck“ – die Handlung dramaturgisch emotional aufgewertet. Als klangvolles Beispiel gab Günther Weißenborn die Selbstmord-Arie aus „Rigoletto“ zu hören.

Eine „gekonnte Verarbeitung“ des Suizids in der Oper bescheinigte der Dramaturg Opern wie „Aida“, „Dido und Aeneas“, „Tristan und Isolde“ sowie Wagners „Götterdämmerung“, deren Musik Weißenborn ebenfalls exemplarisch zu Gehör brachte. So verdeutlicht in „Dido und Aeneas“ die am Ende verhallende Musik emotional tragend, wie Dido dem Leben sanft entgleitet und mit dem letzten Atemzug verstummt. Gewaltiger, geradezu pompös, mutet dagegen Brunhildes Freitod mit der Zerstörung Walhalls in einer Feuersbrunst an – und lässt doch die Leitmotive der vorherigen Elemente des Wagner’schen „Ring der Nibelungen“ im Untergang des Alten und Entstehung des Neuen wiedererkennen: Als „ein Suizid, der nichts Geringeres bewirkt, als die Welt zu erlösen“…

Zweiter Weltkrieg im Fokus beim nächste Offenen Abend

Hunger, Terror, Zwangsarbeit: Was es bedeutete, während des Zweiten Weltkriegs unter deutscher Besatzung leben zu müssen, beleuchtet der nächste Offene Abend bereits am heutigen 7. Mai. Ab 19.30 Uhr berichtet in der Altenberger Straße 25 Historikerin Dr. Tatjana Tönsmeyer, um im Anschluss mit SPD-MdB Helge Lindh zu diskutieren. Der Eintritt ist frei.