19.05.2025, 19.55 Uhr | Meinhard Koke | Artikel drucken | Instapaper | Kommentare
„Evita“-Premiere: Ikone – Musical – und jetzt neuer Hit im TiC

Das begeisternde Ensemble des neuen Musicals im TiC-Atelier Unterkirchen mit Anastasiia Jungk (vo. mi.) in der Titelrolle als „Evita“. | Foto: Martin Mazur
Pause im TiC-Atelier Unterkirchen. Es ist bis auf den letzten Platz voll. Entsprechend dicht sitzen die Gäste der Premiere des Musicals „Evita“ beieinander, entsprechend müssen die Ohren kaum aufgesperrt sein, um zu venehmen, was die Dame am Nebentisch sagt, als die letzten Takte der ersten Hälfte der Premiere verklungen sind: „Wow“, zeigte sie sich begeistert: „Das muss ich jetzt erst einmal sacken lassen…“ Auf den Punkt gebracht von der TiC-Zuschauerin: „Evita“, das Regisseurin Janice Rudelsberger neu auf die Bühne im TiC-Atelier brachte, begeistert. Aber nicht nur: Die Geschichte der argentinischen Nationalheldin liefert auch Anklänge, die gerade in heutigen Zeiten nachdenklich stimmen – und die erst einmal sacken müssen…
„Don’t cry for me, Argentina“, der Welthit ist das, was wohl jeder mit dem Musical von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice verbindet. Sieben Jahre nach ihrem Welterfolg „Jesus Christ Superstar“ setzte das kongeniale Musical-Duo damit der ikonischen Figur der Evita Peron ein musikalisches Denkmal. Dass Tim Rice sich durch einen Rundfunkbeitrag zu dem Musical inspirieren ließ, wundert nicht: Wer das sehr informative TiC-Begleitheft (Hans-Willi Lukas) liest (Empfehlung!), staunt: Das Leben der argentinischen Präsidenten-Gattin und Volksheldin ist filmreif – beziehungsweise: musicalreif! In den nur 33 Jahren bis zu ihrem Tod schafft es Eva Duarte als uneheliches Kind aus armen Verhältnissen zur „First Lady“ in der „Casa Rosada“, dem argentinischen Regierungspalast. Das Establishment schaut auf sie herab, das Volk blickt zu ihr auf wie zu einer Mutter der Nation, wie zu einer Heiligen – als Evita Peron mit erst 33 Jahren stirbt, weint Argentinien um sie. Lesen Sie bitte weiter auf der Seite 6.Dass Evitas Ehemann, Präsident Juan Perón, sie einbalsamieren lässt, um sie wie Schneewittchen in einem Sarg mit gläsernem Deckel aufbahren zu lassen, könnte der glorifizierende Schlusspunkt der ambivalenten Lebensgeschichte der Nationalheldin sein. Die Odyssee, auf welche Evitas Leichnam in den folgenden Jahrzehnten geht, fügt indes ein finales Kapitel hinzu, das verblüfft – und verstört…
Janice Rudelsberger: Vom Schmidt Theater ins TiC-Atelier
Janice Rudelsberger, Ensemble-Mitglied des kultigen Schmidt Theaters an der Reeperbahn, gibt mit „Evita“ ihr Regiedebüt. Die Musicaldarstellerin und Schauspielerin, die vor zehn Jahren am Alten Schauspielhaus Stuttgart selbst in „Evita“ auf der Bühne stand, lässt das vielfach ausgezeichnete Musical in einer abstrakt-spartanischen Kulisse (Stefan Böhmer und Frank Fischer) spielen. Vor einem Hintergrund, auf dem Bilder und historische Filmsequenzen aus dem Leben von Evita zu sehen sind (Videos: Leonie Hackländer), bilden rahmenartige Holzkörper auf Rollen, ganz in rot sowie im Inneren oben und an den Seiten mit grellen Neonröhren, das Bühnenbild. Sie erscheinen mal wie Logen, dienen dann als Schrank für die glamouröse Evita-Garderobe, sie werden zum Rahmen für ein intimes Dinner von Eva und Juan und nicht zuletzt: sie lassen Evita wie eine Lichtgestalt erscheinen.
Anklänge an heutigen Populismus und Autokratismus
Mit dem kargen, aber wandlungsfähigen Bühnenbild gibt Janice Rudelsberger den Raum: für den Plot, dessen Schauplatz ein polarisiertes Land ist; für den spektakulären Aufstieg einer Provinzlerin zur ersten Frau Argentiniens; für den wandlungsfähigen Charakter einer Kämpferin, die sich ebenso als Frauenrechtlerin und fürsorgliche Mutter der Nation stilisiert wie als Titelfigur internationaler Glamour-Magazine; für eine Zeit in der Geschichte des lateinamerikanischen Landes, die zwar 75 Jahre her ist, aber fatal an heutigen Populismus und Autokratismus erinnert.
Karges Bühnenbild, opulente Bühnenleistungen
Nicht zuletzt lässt das TiC-Bühnenbild viel Raum für tolle, nicht nur tangolastige Choreografien (Laura Trompetter), für Kostüme (Nöelle-Magali Wörheide), welche mit Borden, Schleifen und Rüschen ebenso Latino-Eleganz verbreiten wie uniforme Beklemmung, die gleichsam den schwarzen wie den weißen Mythos der Frau unterstreichen, die hier die ehrgeizig-machtbewusste Eva ist und dort gleichsam die heilige Evita.
Evita & Che: „Lichtgestalten“ auch im TiC-Atelier
Vor allem aber rückt die Inszenierung von Janice Rudelsberger bestechende TiC-Akteure ins grelle Licht der Neonleuchten: Janina Guntermann als junge Eva Duarte, die sich dem Schlagersänger Magaldi (Alexander Klein) geradezu aufdrängt, ist ein zarter Kontrast zu dem „präsidialen“ Auftritt von Anastasiia Jungk. In Standing und Spiel „raumfüllend“, gesanglich beeindruckend brilliert Jungk als die (ältere) Evita Peron. Im „Schatten“ der Lichtgestalt gibt Christian Michalak gelungen einen Juan Perón, der hier Populist mit autokratischen Zügen ist und dort seiner „einflüsternden“ Evita folgt („Was wäre mein Leben ohne sie…“). Leonie Hackländer und Tanisha Meis singen und tanzen sich (mit Kim Brinkhoff) zu den rockigen, jazzigen, orchestralen oder balladesken Stücken (Musik: Stefan Hüfner) ebenso in die Herzen der TiC-Zuschauer. Nicht zu vergessen: Leon Gleser, der als Che das Emporkommen Evas wie ein Zuschauer kommentiert, stiehlt der Lichtgestalt beinahe die Show – Glesers Zynismus, wie er singt und tanzt: Felicidades!
Mehr Infos und Karten
Die oscargekrönte und mit Golden Globes ausgezeichnete Verfilmung mit Madonna und Antonio Banderas war das erfolgreichste Musical der 1990er-Jahre, die Inszenierung Janice Rudelsbergers hat alles, um auch zu einem Hit im TiC-Atelier zu werden: Mit Standing ovations feierte das Publikum die Premiere im Atelier Unterkirchen. Wer „Evita“ schauen möchte: Karten sind unter Telefon (0202) 47 22 11, im Theaterbüro an der Hauptstraße 3 sowie online unter tic-theater.de erhältlich.