23.10.2012, 11.45 Uhr   |   Redaktion   |   Artikel drucken   |   Instapaper   |   Kommentare

Kleists Krug im TiC: Ziemlich klassisch und ganz klasse

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Was geschah "in der Nacht von gestern"? In der Kleist-Inszenierung von Ingeborg Wolff klären es die Darsteller des TiC-Theaters überzeugend auf. Foto: Martin Mazur

„Die Nacht von gestern birgt ein anderes Verbrechen als nur die Krugzertrümmerung.“ Unschwer zu erraten: Es wird klassisch im TiC – bei Heinrich von Kleists Komödie „Der zerbrochne Krug“, die Ingeborg Wolff am Theater in Cronenberg inszeniert hat. Nicht nur wer heutige „Lustspiele“ mag, sondern mindestens genauso der kritische Kleist-Liebhaber kommt hier voll auf seine Kosten.

Besondere Hervorhebung verdient Stefan Hüfner für seine Bearbeitung des Textes – obwohl diese Leistung gar nicht so auffällig ist. „Obwohl“? Vielleicht sollte man besser sagen: „weil“! Denn gerade weil Richter Adam, Schreiber Licht und die anderen Figuren bei Hüfner bei aller Änderung ganz „klassisch klingen“, ist klar: Hier waren Theaterleute am Werk, die an den großen Namen bis ins Detail mit viel Respekt heran gegangen sind. Das wird dann so vergnüglich und komplex wie das Original – fast möchte man sagen: Nicht „light“ ist der „Krug“ im TiC, sondern ganz „Kleist“!

Schon beim zitierten Satz um die „Nacht von gestern“, ahnt man ja: „Schnoddrige“ Modernisierungen des 200 Jahre alten Stücks sind in der TiC-Fassung nicht zu befürchten. Für den Inhalt gilt das ebenso. Dass zur Nachtzeit ein Krug zu Bruch gegangen ist, bietet ja nur den vergleichsweise harmlosen Anlass für die Gerichtsverhandlung, in der sich immer stärker der Verdacht aufdrängt, dass der „ehrbare“ Dorfrichter Adam (Robert Cramer) nicht nur rein „amtlich“ zu tun hatte mit dem Tumult in Evchens Schlafkammer – Elisabeth Wahle, mal listig, mal zerknirscht, hat es übrigens faustdick hinter den Ohren…

Da hilft es Adam schließlich auch nicht mehr, ihren Verlobten Ruprecht (toll verleiht Robin Berenz dem falsch verdächtigten Burschen „echt“ ehrliche Empörung) und dessen Vater im Gerichtssaal festzuhalten (Hartwig Kolbe als mürrischer Bauer Tümpel mit voller Grummel-Stimme). Ein Richter, der sich ziert und windet, bis es scheint, er säße selbst auf der Anklagebank: Darauf baut Kleists Komik auf – und so komisch wird’s auch im TiC!

Auch Ingeborg Wolff erlaubt sich als Regisseurin „moderne Ideen“ nur da, wo es auch passt. Das gilt auch für eine erst überraschende Besetzung: Gerichtsrat Walter, der aus dem fernen Utrecht kommt, um dem Dorfrichter einmal beim „Richten“ auf die Finger zu sehen – im TiC ist „er“ eine Frau. Bei Katharina Kranemann ist die Figur sehr gut aufgehoben. Mit strengem Kostüm und wachsamer Miene verschafft sie sich Respekt auf „weiblich-vornehme“ Art.

Wo das traditionsreiche Stück für den heutigen Geschmack vielleicht wenig Spannung bereit hält, da müssen natürlich die Schauspieler umso mehr tun, damit das Publikum bei der Sache bleibt. Das tun sie! Herrlich leidend gibt Robert Cramer den Dorfrichter, der ja eigentlich nichts anderes ist als ein Feigling im Talar. Schön derb-charmant Ragna Gerhardt als Adams Magd, die sich im unbeobachteten Moment schon mal genüsslich auf dem majestätischen Richterstuhl lümmelt. Wenn dann Gela Banerjee als Zeugin „Frau Brigitte“ auf einmal Richter Adams verräterische Perücke präsentiert, ist das ein Vergnügen – allerdings wohl kaum für Martina Wortmanns Marthe, Evchens arme Mutter, die immer weniger durchblickt, was eigentlich wirklich geschah in der „Nacht von gestern“. Und bei Alexander Bangen als raffiniertem Gerichtsschreiber Licht fragt man sich am Ende unwillkürlich, ob er nicht die ganze Zeit seinen (bis dahin noch) Vorgesetzten hinters „Licht“ geführt hat …

Kurzum: Gekonnt und komisch stellt das TiC-Ensemble einen Klassiker vor. Ohne dem Dichter falsche Aussagen in den Mund legen zu wollen: So klug und clever, wie der Klassiker hier „bearbeitet“ wird, hätte zum TiC-„Krug“ vermutlich auch Kleist seinen Segen gegeben… Karten für den „Zerbrochenen Krug“ im TiC gibt es unter Telefon 0202-47 22 11 oder online unter www.tic-theater.de.

Martin Hagemeyer

Die ausführliche Kritik findet sich in der kommenden Print-Ausgabe der CW.