19.10.2022, 15.12 Uhr   |   Martin Hagemeyer   |   Artikel drucken   |   Instapaper   |   Kommentare

„Die Niere“: Humor-Prüfung auf Herz und Nieren im TiC-Theater

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Machen „schwere Kost“ zu einem vergnüglichen TiC-Abend: Elisabeth Wahle, Christof Heußel (hi.), Christoph Güldenring sowie Sabine Henke (re.) sind die „Niere“-Darsteller. | Foto: Martin Mazur

„Du kannst dir jetzt eine Niere aussuchen!“ Fast wie auf dem Basar kann es zugehen, wenn um ein lebenswichtiges Organ gefeilscht wird. Beim neuen TiC-Stück „Die Niere“ von Stefan Vögel mischt sich das sensible Thema „Organspende“ mit Intrigen und Amouren: So bringt das „Theater in Cronenberg“ eine flotte Konversationskomödie auf den OP-Tisch… – beziehungsweise: auf die neue Bühne. „Die Niere“ ist die erste Neuinszenierung, nachdem das Haus an der Borner Straße nach langem Pandemie-Stillstand frisch saniert geöffnet hat. Spürbar die Freude, dass es wieder los ging: „Ingrid, wie schön!“, wurde Ingrid Sommerfeld, „gute Seele“ und bewährt tatkräftige Hand im TiC, beim Eintritts-„Check“ von einer Besucherin begrüßt: „Manche Sachen ändern sich nicht.“

Schweres Thema – vergügliche Wortgefechte

Nun also spielt man wieder ganz neu vor Publikum, und das gleich mit großen Fragen: Gelebte Liebe – oder Angst vor dem Skalpell? Wo beginnt und endet Verantwortung? In der Inszenierung von Ralf Budde wird aus dem Debattenthema ein heiteres Bühnenstück voll Witz und Liebesleid – inklusive Phallussymbol… – das Transplantations-Thema wird auf der Bühne zum Anlass für vergnügliche Wortgefechte. Kathrin (Elisabeth Wahle) braucht eine neue Niere, Spenderorgane sind nicht in Sicht – ein „naher Verwandter“ wäre eine Lösung… Für Ehemann Götz (Christof Heußel) eine Hiobsbotschaft: Frisch vom Arztbesuch platzt sie ins Wohnzimmer, das mit gediegenen Möbeln Wohlstand und Ruhe ausstrahlt – ein Bühnenbild, das Bände spricht; Jan Bauerdick und Benedikt Fiebig haben es hübsch gebaut. Motto: Hier will man Entspannung – nicht Dramatik á la „Leben oder Tod“!

Götz windet sich köstlich, schließlich: „Mir einen Teil des Körpers aus dem lebendigen Leib zu reißen…, das will gut überlegt sein!“ Christof Heußel gibt glaubwürdig den Zauderer, bei dem man schwankt, ob man Mitleid empfinden oder ihn als Hasenfuß sehen soll. Elisabeth Wahle verleiht ihrer Kathrin die richtige Mischung aus Opfer und Zicke: „Jetzt will ich nicht mehr!“, kontert sie gekränkt, als Götz kurz vorm Einlenken steht. Der im Bühnenbild vermittelte Reichtum der zwei ist kein Wunder: Götz ist Star-Architekt und hat gerade einen Wolkenkratzer konstruiert – um das zu feiern, hat das Paar eingeladen. Und hier kommt das Phallussymbol ins Spiel: Angeblich, so hört man, spiegeln hohe Häuser auch Potenz-Geprahle– da ein Miniaturmodell von Götz‘ Werk auf dem Tisch steht, mixt sich die schwere Organspende-Kost immer wieder mit schlüpfrigen Anspielungen.

Fehltritt-Deal“ grätscht in Organspende-Handlung

Denn die Gäste bringen erotische Turbulenzen ins Spiel: Diana (Sabine Henke) hat ihren Mann Arnold (Christoph Güldenring) mit einem Kollegen betrogen. Wie das nun in die Nieren-Handlung „grätscht“, ist eine schräge Idee von Autor Vögel: Arnold ist nämlich, ganz anders als Kathrins Gatte, schnell bereit, ihr eine seiner Nieren zu überlassen . Doch Diana nutzt ihre Lage für einen abgedrehten „Deal“ – und erklärt der verblüfften Kathrin: „Ich muss dich bitten, die Nierenspende meines Mannes abzulehnen!“ Ihr Plan: Ihr „Okay“ zum Organ gibt sie nur dann, wenn Kathrin Dianas „Fehltritt“ verschweigt.

Sabine Henke nimmt man die gewiefte Taktiererin ohne Weiteres ab, ebenso Christoph Güldenring den hilfsbereiten Kumpeltyp. Eine Szene zwischen beiden ist besonders einprägsam: Da stehen die Eheleute, gefühlt Minuten, stumm einander gegenüber – er grimmig, sie schuldbewusst. Man ahnt es: Dianas Liebelei ist aufgeflogen, und das sorgt natürlich für Verstimmung. Außer dieser kurzen, spannungsreichen „Stille“: Viele witzige Dialoge bringt die „Niere“, auch rund um Götz‘ Bedenken und „Entschuldigungsversuche“. Das Risiko für Komplikationen beim Eingriff sei nicht höher als erschossen zu werden? „Na eben!“, gibt er angsterfüllt zurück, schließlich kommt Tod durch Schusswaffen ja durchaus ab und zu vor. Um irgendwann den „Running Gag“ aufzunehmen – und einzulenken: „So oft wird man ja auch wieder nicht erschossen…“

Wer vom TiC auch Krimis kennt: Ein bisschen Grusel gibt’s auch bei der „Niere“. Eine schöne Regie-Idee, die sich jedoch (zum Glück) nur als ein Traum von Götz entpuppt, die seine Angst und Unentschlossenheit mit gehöriger Ironie auf die Spitze treibt… Apropos Krimi: Der Schluss des Stücks sei nicht verraten, nur so viel: Er gerät zum überraschenden „Dreh“, der die Handlung in ein etwas anderes Licht stellt. Was bleibt, sind Grundsatzfragen – und die Einsicht: Liebe, Treue und Organe – so ein Szenario prüft jede Ehe auf Herz und… – na, Sie wissen schon!

Karten für „Die Niere“ gibt es beim TiC unter Telefon (0202) 47 22 11, im Kartenbüro an der Hauptstraße 3 oder auch online unter tic-theater.de.