17.04.2024, 16.24 Uhr   |   Marion Heidenreich   |   Artikel drucken   |   Instapaper   |   Kommentare

„Offener Abend“: Dem Goethe-Besuch im Wupper-Tal auf der Spur

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Organisatorin Annette Leuschen hatte in der Reihe „Offene Abende“ zuletzt Stadthistoriker Heiko Schnickmann in der Johanneskirche am Friedenshain zu Gast. | Foto: Marion Heidenreich

Der erste „Offene Abend“ 2024 in der Johanneskirche drehte sich um den literarischen „Shooting-Star“ des 18. Jahrhunderts: Johann Wolfgang von Goethe. Mit Grund hatte Neu-Organisatorin Annette Leuschen den Geheimrat ausgewählt: 200 Jahre ist es bald her, dass der Dichter und Denker dem Wupper-Tal am 21./22. Juli 1774 einen Kurzbesuch abstattete. Hierzu hatte Leuschen den Stadthistoriker Heiko Schnickmann an der Altenberger Straße zu Gast, der seine Zuhörer ins Tal der Wupper zur Zeit Goethes entführte.

Das beschrieben Zeitgenossen Goethes als durchaus urlaubswürdiges Idyll: Johann-Heinrich Jung-Stilling etwa bezeichnete es als „Schönental“. Die Bürger Elberfelds und Barmens dagegen kamen in den zeitgenössischen Betrachtungen nicht so gut weg: „Man ist von fatalen Exemplaren umgeben, Predigern, die jede Freude sich und anderen versalzen…“, schrieb Felix Mendelssohn-Bartholdy. Nach Goethes Worten hatte im Tal „das Schöne einen schlechten Stand, während man sich mehr auf das Schlechte in der Welt fokussierte“.

Pietismus prägte das reiche Wupper-Tal

Um zu verstehen, wie Goethe und seine Zeitgenossen zu dieser kritischen Meinung kamen, beleuchtete Heiko Schnickmann die Elberfelder und Barmer Gesellschaft. Der Reichtum des protestantisch geprägten Wupper-Tals beruhte auf dem Garnnahrungsprivileg, also dem auf das Flusstal beschränkten Handwerk des Bleichens von Leinen. Hierbei nutzten besonders die Oberbarmer die billigere Produktionsmöglichkeit in Schwelm, um das Leinen zu teureren Wuppertaler Preisen zu verkaufen: „Der Reichtum des Wuppertals entstand also auf legalem und illegalem Weg.“ Auch dank der Metallverarbeitung in Remscheid, Solingen oder auch in Cronenberg war das Wuppertal – neben Düsseldorf – zur Goethe-Zeit die reichste Region. Woher rührte der schlechte Ruf der fleißigen und sittsamen Wuppertaler? Ihre Mentalität war vom Pietismus geprägt, erkläuterte Historiker Schnickmann. Dieser religiösen Bewegung „ging es im Wesentlichen darum, den Glauben des Einzelnen auch außerhalb kirchlicher Institutionen zu stärken“. Der Pietismus vermisste beim Intellektualismus der Reformation die Idee der Frömmigkeit und der Verwirklichung des christlichen Lebens.

„Kunst und Kultur hatten keinen Platz…“

In seinem Fokus stand eine stärkere Verbindung von Religion und Alltag, der Bildungsgedanke des Pietismus forderte etwa eine „Abkehr vom humanistischen Bildungskanon“ hin zu den Tugenden der Arbeitswelt: Fleiß, Ordnung und wirtschaftliches Denken. Anhand der Briefe des Wichlinghauser Pfarrers und Arztes Samuel Collenbusch an Immanuel Kant zeichnete Schnickmann die Ablehnung des aufklärerischen Vernunftkonzeptes durch die Wuppertaler Pietisten nach: „Kunst und Kultur hatten in diesem Umfeld keinen Platz.“

Das landschaftlich idyllische, doch kulturell brachliegende Wuppertal besuchte „Shooting-Star“ Goethe ungeplant: Eigentlich wollte er die ihm spinnefeindlichen Jacobi-Brüder Johann und Friedrich in Pempelfort unter anderen durch Vermittlung von Johann Caspar Lavater treffen. Wie das Schicksal so spielte, hielten sich die Jacobi-Brüder am 21. Juli 1774 aber im Haus des Weinhändlers Peter vom Heydt auf. Da Goethe erst spät am Abend in Elberfeld ankam, übernachtete er vermutlich im damaligen Gasthof „Krone“ am Turmhof, einem seinerzeit beliebten Übernachtungsort für Künstler. Am Morgen des 22. Juli 1774 ließ er seinen Studienfreund, den Arzt Jung-Stilling, zu sich rufen: „Den Vormittag verbrachten die zwei Freunde mit einem Spaziergang und besuchten die Hardt“, berichtete Heiko Schnickmann.

Reißender Zustrom zu „Elberfelder Zusammenkunft“

Nach dem Mittagessen brach Goethe dann zurück nach Düsseldorf auf – um dann aber von Jung-Stilling auf Bitten von Friedrich Jacobi zur Umkehr bewegt zu werden. Im Haus des Kaufmanns Caspari kam es dann zum Treffen neben Goethe und Friedrich Jacobi nahmen daran Jung-Stilling, Caspari und eine Gruppe um Lavater sowie der Orgelbauer Teschemacher und Collenbusch teil – Johann Jacobi hatte abgewunken. Die sogenannte „Elberfelder Zusammenkunft“ hatte sich herumgesprochen und erhielt reißenden Zustrom: „Das Treffen zwischen Goethe und Jacobi wurde zu einem Gipfeltreffen der Intelligencia.“ Es dauerte allerdings nur eine halbe Stunde, debattiert wurde neben Literatur über Religion. Dennoch gilt die Zusammenkunft als Impuls zur Gründung der Elberfelder Lesegesellschaft, deren erstes Treffen rund sechs Monate später ebenfalls im Haus Caspari stattfand. Von den Gebäuden, die Goethe während seines Kurzaufenthaltes besuchte, sind keine Spuren mehr zu finden: Entweder fielen sie der Industrialisierung oder dem Stadtausbau zum Opfer. „Die Städte Elberfeld und später Wuppertal hatten wenig Interesse an dem Aufenthalt Goethes.“ Rekonstruiert wurde der Wuppertaler Goethe-Besuch 1920 von Hermann Flasdieck, im Stadtbewusstsein ist er nicht geblieben, berichtete Schnickmann. Auch die Wuppertaler Mentalität blieb bis ins 20. Jahrhundert vom Pietismus geprägt. Dennoch kam es bereits im frühen 19. Jahrhundert zur Gründung von Gesellschaften mit Interesse an Kunst und Kultur: „Etwas hatte sich doch geändert…“

Nächster Termin & Buchtipps

Zur Wuppertaler Stadtgeschichte empfehlen sich folgende Bücher von Heiko Schnickmann: „Wuppertal, Eine Globalgeschichte“, ISBN 9783000762857 (20 Euro) und „Im Wupperthal vor Wuppertal – Essays zur Stadtgeschichte vom Mittelalter bis ins frühe 19. Jahrhundert“, ISBN 9783948217129 (14,95 Euro). Beim nächsten Offenen Abend wird mit Dr. Anna Storm am morgigen Donnerstag, 18. April, die stellvertretende Direktorin des Von der Heydt-Museums zu den Klassikern des Museums berichten.

Der Eintritt um 19.30 Uhr an der Altenberger Strraße 25 ist frei, Interessierte sind herzlich willkommen. Mehr zu der Reihe „Offene Abende“ der evangelischen Südstadt-Gemeinde ist hier zu erfahren: www.suedstadtweb.de.