29.05.2015, 20.29 Uhr   |   Meinhard Koke   |   Artikel drucken   |   Instapaper   |   Kommentare

„Der Vorname“ im TiC: Weit mehr als Schall und Rauch

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Ihr Abendessen gestaltet sich alles andere als freundschaftlich: Robert Flanze, Alexander Bangen, Leon Gleser, Elisabeth Wahle und Jacqueline Vollmer geraten sich wegen eines Vornamens „in die Haare“ – zur Freude des Publikums. -Foto: Martin Mazur

Es geht um gerade einmal sieben Buchstaben, aber sie reichen aus, um ziemlich beste Freundschaften aus den Angeln zu heben – ein Feuerwerk der Emotionen bietet die Komödie „Der Vorname“. Am vergangenen Freitag, 22. Mai 2015, brachte Raik Knorscheidt das französische Kammerspiel auf die TiC-Bühne und traf damit voll ins Schwarze: Mit nicht enden wollendem Applaus belohnte das Premierenpublikum eine tolle Inszenierung und durchweg überzeugende Darsteller.

Der Vorname mit so viel Zündstoff lautet „Adolphe“: Kann man seinem Sohn einen Namen geben, den einst Adolf Hitler trug? Sicher, man kann, zumal es ja hier um die französische Form geht, Adolf Kolping oder Benimm-Papst Adolf von Knigge auch diesen Vornamen auch trugen – dennoch: Darf man diesen Vornamen vergeben?

Der Vorname „Adolf“ – das geht doch gar nicht mehr!

Vincent und Anna wollen es, so eröffnet der saloppe Immobilienmakler jedenfalls, als er bei Schwester Elisabeth („Babou“) und deren Ehemann Pierre zum Abendessen zu Gast ist. Während Anna erst später hinzustößt, sitzt auch Claude mit in der gemütlichen Sofa-Landschaft (Bühne: Iljas Enkaschew): Der Musiker, seit der Jugend der beste Freund von Babou, ist stets um Ausgleich bemüht, aber da stimmt er Pierre zu: Adolf geht gar nicht!

Es ist, als ob ein Stein ins Wasser geworfen worden wäre, aber die Wellen sich nicht mehr glätten wollen, sondern immer höher auftürmen: Literaturprofessor Pierre ist fassungslos; obwohl ihm Schwager Vincent versichert, dass die Namenswahl rein gar nichts mit Hitler zu tun habe, für Pierre ist es ein „kategorischer Imperativ“: „Adolphe“ ist ein „No-Go“.

Alles nur ein Scherz, der zum Ernst wird

Während Babou und Claude die Wogen zu glätten versuchen, flammen die Emotionen stets erneut auf. Da stößt Anna zu der Runde – ohne zu wissen, um welchen Namen es sich dreht, steht sie ihrem Ehemann gegen die Anwürfe von Pierre zur Seite: Adona und Athena, hält sie Pierre und Babou entgegen, sei ja auch eine ziemlich lächerliche Vornamenswahl für deren Kinder – ups, das sitzt!

Nun zieht Vincent die Reißleine: Der Spaßvogel eröffnet, dass „Adolphe“ lediglich ein Scherz gewesen sei, Henry solle das erwartete Kind vielmehr heißen. Auf die Schenkel klopft sich da aber niemand – Anna ist sauer, dass ihr Gatte mal wieder einen Spaß auf Kosten anderer getrieben hat; Pierre fühlt sich vorgeführt, zudem ist in der Welt: Er und seine Frau haben ihren Kindern lächerliche Namen gegeben – das hat verletzt.

Und das spült nun sogar Kränkungen aus Kindheitstagen zurück an die Oberfläche – der Spaß ist außer Kontrolle geraten, der Abend eskaliert weiter. Und erfasst auch Claude: Er erfährt, dass er „Reine-Claude“ (Pflaume) genannt und für schwul gehalten wird – ups, auch das sitzt. Aber auch damit hat der Abend unter Freunden noch nicht seinen Höhepunkt erreicht, es fließt noch Blut, Ehen werden auf den Prüfstandstand gestellt und das Ende im TiC setzt der Kette an Überraschungen das i-Tüpfelchen auf – diese Komödie prickelt voller Drehungen und Wendungen…

Brillant besetzte Sofa-Runde im TiC-Theater

Das Stück von Alexandre de La Patellière und Matthieu Delaporte macht viel Spaß, aber ist mehr als ein Spaß; „Der Vorname“ ist auch eine Charakterstudie, ein Psychogramm einer Freundschaft. Regisseur Raik Knorscheidt hat die Komödie gekonnt gestrafft und mit einem Darsteller-Quintett umgesetzt, das „quer über die Sofas“ auf den Punkt besetzt ist. Robert Flanze als Vincent nimmt niemanden ernst, außer sich selbst und ist die Oberflächlichkeit in Person. Ebenso brillant wie Alexander Bangen den linksliberalen Pierre gibt, der in Wahrheit ein dogmatischer Meinungs-Faschist ist und zudem Persönlichkeitsprobleme hat.

Elisabeth Wahle glänzt als Anna, deren gute Hoffnung sich in Bezug auf Ehemann Vincent als ziemlicher Beziehungsfrust entpuppt. Während sie allesamt souveräne TiC-Profis sind, steht Leon Gleser erst in seiner zweiten Rolle auf der Cronenberger Bühne: Wie glaubhaft Gleser den sanftmütigen Musiker spielt, der keiner Fliege etwas zuleide tun kann, der aber auch keine Pflaume ist – herzliche Gratulation dazu.

Und – last but not least – Jacqueline Vollmer. Sie gibt den (zunächst) wohl meist unterschätzten Charakter des Abends: Ständig ist Babou zwischen Küche und Sofaecke unterwegs, permanent um das Wohl aller bemüht – als ihr der Kragen platzt, als sie ihrem Gatten die Bilanz ihrer Ehe vor den Kopf knallt, da erschreckt sich der Zuschauer mit – wow, wie tief ist dieses stille Wasser!

Fazit: Adolf geht als Vorname nicht mehr, aber Adolf geht als Komödie im TiC wunderbar – Karten gibt es unter Telefon 0202 / 42 67 11 oder unter www.tic-theater.de.