07.03.2016, 20.33 Uhr   |   Meinhard Koke   |   Artikel drucken   |   Instapaper   |   Kommentare

FBB-Premiere: Wenn die Moral die Kurve nicht kriegt…

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Überzeugten bei der Premiere der „Freien Bergischen Bühne“: André Klem, Martina Wortmann und Bernd Moritz (v.l.). -Foto: Wolf Birke

„Darf man töten, wenn es um den Erhalt der Lebensgemeinschaft geht?“ Diese Frage stellte sich Ministerialdirigentin Dr. Kriegbaum einst im Abitur. „Nein“, lautete damals ihre Antwort. Drei Jahrzehnte später und in gehobener Position im Amt („Der Minister hört auf mich“) beurteilt sie die Frage pragmatischer: „Unter Umständen…“ Erstaunlich für eine Juristin und erstaunlich ist auch der Zusammenhang, in dem Dr. Kriegbaum mit dem Abi-Thema konfrontiert wird – ihre eigene Grabrede…

Rückwärtsgang eingelegt und alles auf Anfang des Stückes „Die Kurve“, das am vergangenen Samstag von der „Freien Bergischen Bühne“ im „Kultur-Kontor“ auf die Bühne gebracht wurde: Die ungleichen Brüder Rudolf und Anton sind Außenseiter. Am Fuße eines gefährlichen Felsens haben sie ihre Existenznische gefunden. Denn dort liegt eine unfallträchtige Kurve: Bei Ausflugswetter verunglücken dort regelmäßig Autofahrer – der genügsame Rudolf (André Klem) macht die Unfallautos wieder flott und verkauft sie. Schöngeist Anton (Bernd Moritz) derweil bestattet die Opfer auf einem eigens angelegten Privat-Friedhof, seinen Lebensinhalt findet er darin, die Leichenreden zu verfassen – die Brüder sind zufrieden mit ihrem Auskommen.

Die Wendung in der „Kurven-Frage“: Opfer 25 überlebt

Nicht ganz: Weltverbesserer Anton schreibt nach jedem Unglück „Eingaben“ ans Ministerium – die „Todeskurve“ muss doch entschärft werden. Auf 24 Eingaben gab’s keine Antwort, doch als Opfer Nummer 25 bekommt Ministerialdirigentin Kriegbaum die Kurve nicht. Aber: Kriegbaum überlebt – keine Frage: Nun werden die Eingaben ernst genommen – Anton ist am Ziel!

Aber die Farce von Altmeister Tankred Dorst bleibt „kurvenreich“, denn Anton schwant: Dr. Kriegbaum (Martina Wortmann) hat den Ernst der Pflichterfüllung erkannt. Sie wird eine neue Straße  bauen – nach bestem Wissen und Gewissen, eine sichere, selbstverständlich, eine mit allen Schikanen, mit Katzenaugen, Warnschildern, neuem Asphalt und einer Ausleuchtung, welche die Nacht zum Tage macht… Das Problem dabei: Damit wäre seine Existenz bedroht, und die von Rudolf dazu  – Anton gerät ins Grübeln: Ist es die Verhütung weiterer Opfer wert, selbst Opfer zu werden? Muss die Moral so weit führen, dass sie die eigene Exis-tenz aufs Spiel setzt? Oder anders formuliert: Darf man „töten“, wenn es um den Erhalt der Lebensgemeinschaft geht, und zwar der von ihm und Anton?

Freie Bergische Bühne liefert gelungene Premiere ab

Ein geglückter Einstand darf André Klem attestiert werden: Ob als Initiator der „Freien Bergischen Bühne“, als Regisseur und Darsteller des FBB-Erstlings sowie nicht zuletzt als Bühnenbildner – Klem schafft alles! Gemeinsam mit Martina Wortmann beweist Klem auf der Bühne souveräne Präsenz. Selbst durch eine technische Panne zu Beginn ließen sie sich nicht aus der Spur bringen – Kompliment, Klem und Wortmann beweisen die Erfahrung von hunderten TiC-Auftritten.

Aber auch Jung-Schauspieler Bernd Moritz verkörpert absolut glaubhaft den Moralisten Anton. Moritz lässt den Zuschauer förmlich Anteil daran nehmen, wie Anton seine heeren Moralvorstellungen über Bord wirft zugunsten seiner egozentrischen Ethik. Eine Paradeszene des Stückes ist, wie die Brüder Dr. Kriegbaum auf dem ausgebauten Sitz ihres Unfallautos in die „Zange“ nehmen. Wie Martina Wortmann, André Klem und Bernd Moritz dabei förmlich dämmert, wohin die Dreiecksgeschichte steuert, das sind beeindruckende Persönlichkeitsstudien.

„Die Kurve“: Halbes Jahrhundert alt, aber hochaktuell

Bei aller scheinbaren Absurdität, die Anfang der 1960er Jahre von Tankred Dorst geschriebene Farce ist hochaktuell: Abseits von „Abs-trusitäten“ der bürokratischen Mühlen drängt sich geradezu der Bezug zum Flüchtlingsdrama auf: Ließ man hier nicht die Flüchtlinge sehenden Auges zu Hunderten im Mittelmeer ertrinken und begann erst zu handeln, als „das Problem“ „hautnah“ wurde, sprich die Flüchtlinge „auf der Matte“ standen. Und versucht man hier nicht, die Flüchtlingsfrage „auf Distanz“ zu halten, indem man eine Grenze nach der anderen dicht macht? Folgt man damit nicht auch dem Primat des Erhalts der Lebensgemeinschaft um (fast) jeden Preis – eben wie Anton?

Insofern ist der Erstling der „Freien Bergischen Bühne“ ein wichtiges Stück; wer es so interpretiert, der wird von Martina Wortmann, André Klem und Bernd Moritz mit der Frage entlassen: Ist die Welt nicht eine Farce?

Tickets & Termine

Wer „Die Kurve“ sehen möchte, hat am kommenden Samstag, 12. März 2016 (19.30 Uhr), im „Kultur im Kontor“ die nächste Gelegenheit dazu. Karten für die Aufführung, gibt es unter Telefon 0202 31 72 085 oder per E-Mail an info@kultur-im-kontor.de sowie unter wuppertal-live.de. Der Eintritt kostet 17 Euro im Vorverkauf sowie 19 Euro an der Abendkasse in der Hauptstraße 88. Mehr Infos und sowie die weiteren Aufführungs-Termine im Jungen Theater Leverkusen sowie im Studio 87a in Wuppertal auch unter www.freie-bergische-buehne.de sowie unter kultur-im-kontor.de.