23.09.2017, 15.10 Uhr   |   Meinhard Koke   |   Artikel drucken   |   Instapaper   |   Kommentare

BTW 2017: Hardt beim Dörper Wahl-Check gegen (fast) alle…

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Moderatorin Corinna Schlechtriem (2.v.r.) und Fritz Figge vom „Kulturschmiede“-Verein (li.) mit den Cronenberger Kandidaten zur Bundestagswahl: Jürgen Hardt (CDU), Ilka Brehmer (Grüne), Karin van der Most (FDP) und Ingo Schäfer (SPD, v.l.) sowie Adrian Scheffels (Linke, re.). -Foto: Meinhard Koke

„Man hat ganz andere Eindrücke der Kandidaten bekommen können“, zollte Lily (16) dem Abend mit Dörper Bundestagskandidaten ein glattes „Gut“: „Man konnte merken, wer einen Plan hat“, lautete das Fazit der Schülerin des Carl-Fuhlrott-Gymnasiums (CFG). Auch Mitschülerin Alina (15) fand die Dörper „Elefantenrunde“ zwar spannend, aber für sich nicht wirklich aufklärend. Die Kandidaten seien den Fragen eher ausgewichen, urteilte die Schülerin nach der Podiumsdiskussion von „Kulturschmiede“-Verein und CW kritisch.

Zwar darf sie am Sonntag noch nicht zur Wahl, einen Favoriten hat Alina aber trotzdem – und er/sie blieb es auch nach den zwei Stunden. Anders bei Lara (18): Die Schülerin der Alexander-Coppel-Gesamtschule in Solingen wird Sonntag erstmals bei einer Bundestagswahl an die Urne gehen, und: Die Cronenberger „Elefantenrunde“ brachte ihre Wahlpräferenz „ins Wanken“. „Ich wurde von einer Partei ziemlich überrascht“, befand die Jung-Wählerin die Polit-Runde für sich als „sehr interessant“: „Das hätte ich auch nicht gedacht.“ Welcher der fünf Kandidaten das war, das blieb Laras (Wahl-)Geheimnis…

Wahlkampf: „Anstrengend, aber hoch interessant…“

Die Meinung der drei jungen Zuhörerinnen war exemplarisch: Unisono fiel das Echo positiv auf die einzige öffentliche Kandidaten-Runde zur Bundestagswahl im CW-Land aus: „Jetzt haben Sie einmal die Gelegenheit, Ihre Kandidaten kennenzulernen, ohne auf Wahlplakate zu gucken“, sagte Moderatorin Corinna Schlechtriem zu Beginn – wo immer die CW nachfragte, für diese Möglichkeit zeigten sich alle Zuhörer dankbar.

Auch wenn Kulturschmiede-Mitglied Oliver Wagner an der Stoppuhr ein resolutes „Zeit-Regime“ führte, viele Themen wurden nur gestreift oder blieben am Dienstagabend sogar ganz außen vor: Diesel-Skandal, Europa, Flüchtlinge oder auch Klimawandel – für all das war die Zeit zu knapp. Dafür waren es Bildung, Digitalisierung, knappe Stadt-Finanzen oder auch der Arbeitsmarkt, welche die zwei Stunden bestimmten.

Volles Haus herrschte beim „Wahl-Check“ in der Kulturschmiede. Foto: Meinhard Koke

Volles Haus herrschte beim „Wahl-Check“ in der Kulturschmiede. Foto: Meinhard Koke

Zum Aufwärmen versuchte Corinna Schlechtriem den Politikern Persönliches zu entlocken. Ja, Wahlkampf sei eine „Ochsentour“, stimmte Karin van der Most (FDP) zu, Ilka Brehmer (Grüne) sah eine Erkältung drohen, sie – wie alle anderen Mitstreiter – bezeichneten den Wettstreit aber als „hochinteressant“ (Adrian Scheffels, Linke): Man komme mit vielen Menschen zusammen, habe mit vielen Themen zu tun – „das ist eine tolle Angelegenheit“, stimmte Ingo Schäfer (SPD) zu. „Sonst würde ich das nicht machen“, unterstrich Amtsinhaber Jürgen Hardt (CDU) seinen Spaß am Polit-Job, allerdings: Ein Tag in der Woche mache er frei – „sonst reibt man sich auf“. Hardt ließ sich dabei sogar zu einem Kompliment hinreißen: Dass die Kandidaten von Grünen, FDP und auch der Linke (?) sich derart engagierten, obgleich ihre Chancen auf den Gewinn des Wahlkreises eher gering seien, forderte Hardt ein „Hut ab“ ab.

Keine Zusammenarbeit: Hardt/Scheffels einig

Und Hoppla: Im Verlauf des Wahl-Checks zeigte sich Jürgen Hardt sogar einen Moment einig mit Linke-Kandidat Scheffels: „Nur nicht mit der AfD und der Linken“, legte sich Jürgen Hardt zur Koalitionsfrage aus dem Publikum fest – „damit sind wir einverstanden“, stimmte der Linken-Kandidat zu. Ansonsten aber ließ der CDU-„Platzhirsch“ im Verlauf des Abends wenig Gemeinsamkeiten mit seinen Podiumskollegen erkennen. Es war eher ein „Weiter so!“ des CDU-Politikers. Die „Digitalisierung“, so Hardt, sei zwar eine Herausforderung, die Umwälzungen bedrohten auch sicher Arbeitsplätze. Gravierende Lücken aber („Wir haben heute mehr Arbeitsplätze denn je“) seien nicht zu befürchten: „Wir schaffen das“, zeigte sich der Christdemokrat überzeugt. Der Forderung nach einem Grundeinkommen erteilte Hardt eine Absage: Deutschland fahre gut mit seinem System – er wolle am derzeitigen sozialen Netz festhalten, so Hardt.

Mehr Bund bei der Bildung: Alle contra Hardt

Damit stand Hardt allein. Auch Karin van der Most (FDP) zeigte sich zwar überzeugt, dass man keine Angst vor der digitalen Revolution haben müsse. Allerdings müsse Politik bessere Rahmenbedingungen schaffen und die junge Generation besser vorbereiten: „Das findet derzeit nicht statt.“ Ziel von Politik sei auch nicht, allen das gleiche Geld zu verschaffen, Aufgabe sei vielmehr, alle in Arbeit zu kriegen, so die Liberale.

SPD-Kandidat Ingo Schäfer zeigte sich durch wegbrechende Arbeitsplätze im Niedriglohn-Sektor besorgt. Den „rapiden Veränderungen am Arbeitsmarkt“ müsse man gegensteuern, brachte Schäfer die Einführung einer Automaten- oder auch einer Roboter-Steuer ins Spiel. „Jawoll, wir haben großen Mist gebaut“, distanzierte sich der SPD-Politiker von Teilen der Hartz-IV-Reform und forderte eine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen. Zudem benannte es Schäfer als eine Verpflichtung, Menschen nicht in die Altersarmut zu entlassen – Schäfer: „Wir haben den Mindestlohn eingeführt, jetzt müssen wir über die Mindestrente reden.“

Linken-Kandidat Adrian Scheffels ging einen Schritt weiter: Wegfallende Arbeitsplätze? Kein Problem! Wie zum Beispiel im Gesundheitssektor fehlten ja überall Stellen – „warum nicht Arbeit umverteilen?“ Dazu sprach sich Scheffels für eine Reduzierung der Arbeitszeit auf 30 Wochenstunden aus. So wäre eine geregelte Arbeitszeit für alle möglich – „dann brauchen wir kein Grundeinkommen“.

„Wir finden ja keine qualifizierten Azubis mehr…“

„30 Stunden habe ich schon am Dienstagabend voll“, konterte eine Stimme aus dem Publikum, „dann sind Sie einer, der zu viel arbeitet“, antwortete Scheffels. Eine andere Zuhörerin zeigte sich irritiert: Linken-Spitzenkandidatin Wagenknecht propagiere doch das Grundeinkommen – dazu zeigte sich Adrian Scheffels etwas anderer Meinung… Grünen-Kandidatin Ilka Brehmer zeigte sich auf ähnlicher Linie: „Lieber Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren“, sprach sich Brehmer für die Schaffung von mehr „Beziehungsarbeitsplätzen“, in Krankenhäusern oder Altenheimen aus. Derzeitige Arbeitsprojekte für Langzeitarbeitslose seien doch nur Bruchstücke – „wir brauchen sowas dauerhaft“.

Oliver Wagner vom Verein „Kulturschmiede Cronenberg“ achtete an der Stoppuhr resolut darauf, dass die Redezeiten eingehalten wurden. -Foto: Meinhard Koke

Oliver Wagner vom Verein „Kulturschmiede Cronenberg“ achtete an der Stoppuhr resolut darauf, dass die Redezeiten eingehalten wurden. -Foto: Meinhard Koke

Zum Thema Bildung votierte Karin van der Most (FDP) für die Aufhebung des Kooperationsverbotes von Bund und Ländern. Die föderale Aufgabentrennung sei nicht mehr zeitgemäß, Länder wie NRW schafften ihre Aufgaben nicht mehr, forderte van der Most mehr Bundesinvestitionen in die Ausstattung von Schulen und die Digitalisierung: „Bildung ist eine gesamtgesellschaftliche Sache.“ Dem schloss sich Adrian Scheffels (Linke) an, Jürgen Hardt (CDU) hielt mal wieder dagegen: „Bildung ist Länder-Thema, es sei denn, wir lösen den Föderalismus auf“, erteilte Hardt einer Grundgesetz-Änderung eine Absage.

Mehr Geld für die Städte: Hardt contra alle

Zur Frage, wie man die Jugend wieder für handwerkliche Ausbildungen begeistern könne, sprach sich Ingo Schäfer (SPD) für eine Aufwertung der Löhne im Handwerk aus. Ilka Brehmer (Grüne) sah den Hasen derweil bei den Betrieben im Pfeffer, die zu wenig Ausbildungsplätze anböten. Da gab’s Widerspruch aus dem Publikum: Handwerker aus Osteuropa arbeiteten zu Dumpinglöhnen und gefährdeten die deutschen Meisterbetriebe. Zudem: „Wir finden ja keine qualifizierten Azubis, keiner will sich mehr die Hände dreckig machen“, hielt ein Handwerksmeister dagegen.

Als es um die Frage ging, was die einzelnen Kandidaten fürs Bergische tun wollen, kamen die Stadtfinanzen aufs Tapet. Auch hier wurden fundamentale Unterschiede von Amtsinhaber Hardt (CDU) zu seinen Kontrahenten deutlich. Ja, der Bund könne Beiträge leisten und habe mit Investitionsprogrammen in Bildung, Infrastruktur oder auch während der Flüchtlingskrise schon „viel geholfen“. Einem Altschulden-Fonds zur Entschuldung der Kommunen erteilte Hardt aber eine Absage. Dafür zu sorgen, dass das Zinsniveau so niedrig bleibe, benannte Hardt als praktische Hilfe für die Kommunen. In der Frage, ob der „Soli“ nicht mehr nach geografischen Aspekten für den Osten, sondern nach Bedarf für klamme Kommunen in ganz Deutschland verwendet werden sollte, leistete sich Jürgen Hardt einen (Teil-)„Lapsus“.

Corinna Schlechtriem: „Ich kriege einen Hörsturz“

Der Christdemokrat sagte nämlich nicht nur, dass das Klagelied der Kommunen überholt und in Wuppertal die „schwarze Null“ in Reichweite sei. Wuppertal zahle auch bereits seit 2004 überhaupt nichts mehr in den „Soli“ ein, überraschte Jürgen Hardt. Anderes sei schlicht falsch: „Jetzt sind Sie alle platt, aber das ist die Wahrheit“, redete er sich geradezu in Rage. Kommentar von Moderatorin Corinna Schlechtriem: „Ich kriege einen Hörsturz“ – Antwort Hardt: „Ich bin wütend.“ Sonst bestens mit Zahlen und Fakten aufgestellt, da hatte der CDU-Bundestagsabgeordnete recht – aber nur zum Teil. Denn: Rund 15 Millionen jährlich zahlt das arme Wuppertal in den „Fonds deutsche Einheit“ ein…

Corinna Schlechtriem (re.) mit den Politikern der Wahl-Runde. -Foto: Meinhard Koke

Corinna Schlechtriem (re.) mit den Politikern der Wahl-Runde. -Foto: Meinhard Koke

Das wusste zwar keiner Hardt entgegenzusetzen, die Mitbewerber hielten dennoch dagegen: „Ich bin gerade über Straßen gekommen, die keine Straßen mehr sind“, sprach sich Ilka Brehmer (Grüne) klar für einen Altschulden-Fonds des Bundes aus: „Wir müssen was tun“, Straßen, Schiene, ÖPNV, Radwege oder auch sozialer Wohnungsbau hätten erhebliche Bedarfe. „Es geht nicht ohne einen Altschulden-Fonds“, stimmte Ingo Schäfer (SPD) zu.

Die Städte sähen kein Licht mehr am Ende des Tunnels, das was es an Erleichterungen gebe, werde woanders wieder aus der Tasche gezogen, forderte Schäfer Steuerentlastungen und mehr Investitionen: „Wenn nicht jetzt in der Niedrigzinsphase, wann denn dann…?“ Ob Straßen, Schulen, Digitalisierung, all diese Zukunftsaufgaben könnten weder Remscheid noch Wuppertal und Solingen aus eigener Kraft schultern, forderte Karin van der Most (FDP) eine Gemeindefinanzreform: Vieles entscheide sich doch vor Ort in den Städten, hier müssten die Aufgaben auskömmlich finanziert werden: „Das Thema ist uralt, wir müssen es endlich anpacken“, so die FDP-Kandidatin.

Wahl-Check: „Wir können nicht alles lösen…“

„Ich frage mich, woran es hapert“, fand auch Adrian Scheffels (Linke), dass der Bund den Städten helfen muss: „Wir brauchen einen Solidarpakt, der nicht mehr geographisch orientiert ist.“ Auch wenn Corinna Schlechtriem dann einen Schnitt machte („Wir können heute nicht alles lösen“), auch wenn manches Thema nicht mehr zur Sprache kam, der Dörper Wahl-Check hatte den Kandidaten ein Gesicht gegeben. Und auf jeden Fall ein plastischeres, als die Gesichter, welche von den Plakaten lächeln.

Welches Kandidaten-Gesicht am Sonntagabend lächelt, wird sich zeigen… – gehen Sie wählen!