09.04.2019, 19.50 Uhr | Meinhard Koke | Artikel drucken | Instapaper | Kommentare
TiC-Theater: Grantelnder Monsieur Henri bezaubert die Zuschauer
„Es war alles: witzig, traurig und charmant,…“, lautet auf der Facebook-Seite des TiC-Theaters ein Kommentar zur neuesten Premiere an der Borner Straße. So ist es! Die französische Komödie „Frühstück bei Monsieur Henri“, die Dustin Smailes Ende März auf die TiC-Bühne brachte, ist ein „gefundenes Fressen“ für alle, die sich einen vergnüglichen Abend mit Tiefgang machen möchten.
Henri ist ein verbitterter alter Mann: Seit dem Tod seiner Frau vor 30 Jahren lebt er allein. Am liebsten würde er sein Appartment ebenso abschließen wie das Klavier, auf dem seine Frau einst so gerne spielte – die Welt hat Henri nichts mehr zu bieten. Und so wie er grantelt, will die Welt auch nichts von ihm wissen. Abgesehen von Paul: Den Sohn verbindet zwar eine angespannte Beziehung zum Vater. Allerdings macht sich Paul doch auch Sorgen. Weil der Vater gesundheitlich angeschlagen ist, drängt er ihn, eine Studentin in seiner Wohnung aufzunehmen, die darauf achtet, dass er seine Medikamente regelmäßig nimmt – oder er muss ins Altenheim.
Ein unmoralischer Deal: Die Schwiegertochter soll weg…
Constance bewirbt sich: Auch wenn es Henri ihr mit einem Blumenstrauß aus Unfreundlichkeiten, einem heruntergekommenen Zimmer und einer vielseitigen Hausordnung maximal schwer macht, Constance will einziehen. Sie braucht das Zimmer! Henri nimmt sie, aber nur unter einer Bedingung: Die junge, hübsche Studentin soll versuchen, Paul und dessen Frau Valérie auseinanderzubringen. Denn: Henri hasst Valérie, er kann nicht ertragen, dass Paul mit dieser Idiotin zusammen ist. Für sein unmoralisches Angebot zeigt sich der scheinbare Menschenfeind sogar großzügig: Er bietet Constance drei Monate freie Miete an. Constance will sechs Monate – Henri schlägt widerwillig ein, die Zweck-Wohngemeinschaft steht.
Trotz des unmoralischen Deals steht der „Mietvertrag“ aber ständig auf tönernen Füßen. Aber auch wenn Henri tobt, weil sie seine Pantoffeln trägt oder sie auf dem Klavier spielt, alle Unverschämtheiten perlen an der unkonventionell-fröhlichen Constance ab. Sie hat schließlich ein Ziel: Constance will ihr erstes Semester nicht zum vierten Mal wiederholen… Henri arrangiert ein intimes Treffen mit Paul und brieft Constance dazu: dass Paul „hundert pro Bordeaux“ ist, Milchreis liebt und die Geschichten des Herrn Knulp von Hermann Hesse liebt. Paul beißt an, er verknallt sich in die junge Studentin, die scheinbar seine Vorlieben teilt – Wahnsinn, so eine Wesensverwandtschaft! Aber kann sich Paul von seiner Valerie trennen, zumal Constance ja sehr viel jünger ist als er…?
Dustin Smailes inszeniert mit der französischen Komödie erstmals ein Schauspiel am TiC-Theater und dem Musical-Star darf bescheinigt werden: Smailes kann auch Sprech-Theater! Der Musical-Darsteller, der aktuell in „Sweeney Todd“ an der Oper Kiel auf der Bühne steht, arbeitet die menschlichen Züge seiner Figuren so heraus, dass der Zuschauer sie lieb gewinnt. Und zwar allesamt, selbst Henri, den „Motzki“.
Viel Spaß und berührende Charakter-Studien
Denn das 2015 mit Frankreichs Schauspiel-Ikone Claude Brasseur verfilmte Erfolgsstück bietet nicht nur viel Spaß, sondern auch Melancholie, Charakterstudien und Tragik. Ob die grantelnden Deftigkeiten des einsamen Henri, ob die zerbrechliche Valérie mit ihrer penetrant-einfältigen Harmoniesucht und ihrer Liebe zum chinesischen Horoskop, ob der unsicher-biedere Paul, der sich so sehr nach einem freundlichen Wort seines Vaters sehnt, aber nur ein fürsorgliches „Erkälte dich nicht“ mit auf den Weg bekommt, oder ob die nach Orientierung suchende Ehebrecherin wider Willen Constance – sie alle haben ihre Geschichte.
Dustin Smailes und seine Darsteller arbeiten auch die ernsten, berührenden Seiten der Charaktere und des Kammerspiels fein heraus. Hans-Willi Lukas (Henri), Charlotte Reinke (Constance), Philip Zangerl (Paul) und Monika Owart (Valérie) verkörpern die allesamt verletzten beziehungsweise verletzlichen Charaktere beeindruckend authentisch. Und zwar derart mit Bravour, dass das Publikum nicht mit Szenenapplaus sparte. Wirklich einziger Kritikpunkt: Dustin Smailes muss Henris Granteln nicht durch Lautstärke zu unterstreichen suchen – Hans-Willi Lukas‘ hat das wirklich nicht nötig, wie der leisere zweite Teil nach der Pause noch eindrucksvoller beweist!
Füßetrampeln und Jubel für die Premiere
i-Tüpfelchen der Beziehungskomödie mit Tiefgang sind die Bühne (Jan Bauerdick), die Kostüme von Carmen Fett und nicht zuletzt die Szenenwechsel-Musik der französischen Chansonette Zaz – das Premierenpublikum im TiC schmeckte das facettenreichen Frühstück bestens. Mit Füßetrampeln, lang anhaltendem Applaus und Jubelrufen feierte es Dustin Smailes und seine Darsteller – völlig zurecht! Karten für das „Frühstück bei Monsieur Henri“ gibt es unter Telefon (02 02) 47 22 11, im TiC-Büro an der Hauptstraße 3 und online unter www.tic-theater.de.