03.12.2024, 19.31 Uhr | Meinhard Koke | Artikel drucken | Instapaper | Kommentare
Passend zum Fest: „Lola Blau“ im TiC ist „wie ein Geschenk“…!
„Das ist irre“, sagte die Besucherin, als sie nach der Premiere von „Heute Abend: Lola Blau“ den Heimgang antrat – vor Begeisterung…! Ein anderer Gast drückte es im TiC-Atelier Unterkirchen so aus: Drei Inszenierungen des Ein-Frau-Musicals von Georg Kreisler habe er gesehen, ließ er wissen, die von Ralf Budde und Stefan Hüfner im TiC toppe alles: „Das ist wie ein Geschenk“, urteilte der Premierengast: „Ein vorzeitiges Weihnachtspräsent.“ Zwei Einzelmeinungen, zugegeben, aber was sich abspielte, nachdem der Scheinwerfer auf Miriam Kraft alias „Lola Blau“ erloschen war, sprach Bände: Die Zuschauer erhoben sich applaudierend von ihren Stühlen – zurecht: Mit „Heute Abend: Lola Blau“ hatten sie eine Sternstunde des Dörper Theaters erlebt!
Sternstunde mit düsterem Hintergrund – auch heute wieder…!
Eine mit düsterem Hintergrund: Das „Musical für eine Schauspielerin“ handelt von der jüdischen Sängerin Lola Blau. In diesem März 1938 ist sie freudentrunken von ihrem ersten Engagement am Theater, da maschiert Hitler in Österreich ein. Onkel Leo macht sich auf an die tschechische Grenze, der geliebte Leo will sich gen Basel absetzen. Lola bleibt – Politik interessiert sie nicht: „Der Hitler kann vertragsbrüchig werden – Lola Blau nicht…!“ Die Politik holt sie ein: Die Vermieterin kündigt ihr, das Theater ebenso – Lola fährt ihrem Leo hinterher in die Schweiz. Sie findet ihn nicht, aber am „Cabaret Fondue“ ein Engagement: Es sind weniger Chansons, es ist nun Cabaret à la Moulin Rouge, mit dem sie begeistert. Lola ist selig, da platzt ein Polizei-Schreiben rein: Es verfügt ihre „Ausschaffung“ aus der Schweiz – Lola ist verzweifelt…!
Aufnahme in den USA: Broadway statt Cabaret
Wie ein Wunder erteilt das US- Konsulat ihr da die Einreisegenehmigung in die USA – die Rettung! Nun sind Broadway und Sexappeal, aber auch Swing und Jazz angesagt – Lola Blau weiß erneut zu begeistern. Dennoch: Als die Nachricht von der Kapitulation der Nazis rüberschwappt, zieht es sie zurück: nach Wien, zu ihrem Leo, an die Heimatbühne. Jedoch: Die Nazis sind zwar besiegt, ihr Geist hat aber nicht überall kapituliert… Das inhaltsschwere One-Woman-Musical, das Georg Kreisler 1971 in Wien auf die Bühne brachte, hat biografische Züge: Der jüdische Komponist, Pianist, Sänger und Dichter musste ebenso vor den Nazis in die USA flüchten. Hier arbeitete er mit Charlie Chaplin oder Hanns Eisler, der große Erfolg blieb aus – der bitterböse Humor des selbsterklärten Anarchisten kam in den USA weniger an. Kreisler kehrte nach Europa zurück, doch auch hier tat man sich mit ihm schwer: Er galt als Nestbeschmutzer, bis zu seinem Lebensende im Jahr 2011 „fremdelte“ Kreisler mit seiner Heimat – auch verbittert darüber, dass man ihm die von den Nazis aberkannte Staatsbürgerschaft nie wieder angeboten hatte…
Trump-Wahl, Ampel-Aus, Kriege – wieder Ungewissheiten
Dieser Hintergrund macht betroffen, zumal der Premierenabend von Ralf Budde und Stefan Hüfner auf den 9. November gelegt worden war – dem Tag der Reichspogromnacht 1938…! Zusätzlich lasteten auf manchen Premierenbesucher die aktuellen Ereignisse: Was mag nach dem Trump-Wahlsieg und dem Ampel-Aus kommen, wie geht es im Nahen Osten und der Ukraine weiter… – auch heute wieder eine Zeit der Ungewissheiten und der Sorgen… Die Figur der „Lola Blau“ tut da gut: Auch wenn sie den Ernst der Lage naiv verkennt, auch wenn sie sich immer wieder neu erfinden muss, sie schafft es – bis zum Happy End: dem Wiedersehen mit Leo und dem Engagement im „Cabaret Kaiserschmarrn“. Hier kann sie singen und spielen wie es nicht nur dem Publikum gefällt, sondern auch ihr…!
Miriam Kraft als Lola Blau: eine Paraderolle!
Eben das verkörpert Miriam Kraft: Zwei Stunden steht sie allein auf der Atelier-Bühne, gibt sie die verzweifelte Chansonette, den erotischen Vamp oder den glamourösen Broadway-Star und die Dame; sie singt berührend oder sie schlüpft in die Rolle des Rabbis und des Herrn Schmidt, sie berlinert ebenso wie sie Französisch, Englisch und Jiddisch oder Wiener Schmäh auf die Bühne bringt; sie tanzt Cancan oder Polka und legt einen prickelnden Strip mit cleverem Aha-Effekt hin – grandios! Miriam Kraft ist eine Idealbesetzung, die Lola Blau avanciert zu ihrer Paraderolle. Um es mit einem Chanson von Georg Kreisler auszudrücken: „Sie ist ein herrliches Weib, sie ist ein göttliches Weib, sie ist ein himmlisches Weib, sie ist ein einziges Weib…“
Die Inszenierung von Ralf Budde, das Bühnenbild von Jan Bauerdick, die Kostüme von Maya Fichtel und die Maske von Elke Quirmbach runden den „herrlichen“ TiC- Abend ab. Endgültig „himmlisch“ wird der Kreisler-Abend durch die Live-Begleitung von Stefan Hüfner am Klavier und am Kazoo als i-Tüpfelchen – „einfach irre – ein Geschenk…!“ Karten für „Heute Abend: Lola Blau“ sind unter Telefon (0202) 47 22 11, im TiC-Kartenbüro an der Hauptstraße 3 oder auch im Netz unter tic-theater.de buchbar.