05.11.2025, 10.02 Uhr   |   Marion Heidenreich   |   Artikel drucken   |   Instapaper   |   Kommentare

Offener Abend: Ein Muslim auf dem Jakobsweg – aber andersrum…

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Annette Leuschen und Volker Niggemeier (re.) konnten beim letzten „Offenen Abend“ den Islam-Wissenschaftler Prof. Dr. Mouhanad Khorchide in der Johanneskirche begrüßen. | Foto: Marion Heidenreich

In vielen Religionen spielt das Pilgern eine wichtige Rolle, die Art und Weise, wie gepilgert wird, unterscheidet sich aber oftmals grundlegend: Im Islam ist der Haddsch, die Pilgerfahrt nach Mekka, als eine der fünf Säulen des Glaubens einmal im Leben verpflichtend – vorausgesetzt man ist gesund und kann sich die Reise finanziell leisten. Im Christentum gibt es eine solch strenge Pilgerregel nicht. Was unterscheidet das muslimische und christliche Pilgern sonst? Eigentlich eher als Kurzurlaub gedacht, machte sich Prof. Mouhanad Khorchide, Islam-Theologe an der Universität Münster, auf den Weg: Er pilgerte nach Santiago de Compostela zum Grab des Heiligen Jakobus. In der Johanneskirche erzählte Khorchide im vollen Gemeindesaal auf Einladung von Annette Leuschen und Volker Niggemeier beim „Offenen Abend“ von evangelischer Südstadt-Gemeinde und Katholischem Bildungswerk von seinen Pilger-Erfahrungen auf dem Jakobsweg. „Einfach nur weg“, so sagte der Islam-Theologe zu seinem Entschluss, an Pfingsten 2023 zu pilgern. Er hatte „die Auszeit nötig gehabt“ – einfach mal die „Welt stillstehen lassen“…

Etwas anders: Pilgern nach muslimischer Art

Was macht ein Muslim, wenn er den Haddsch angeht? Er bucht ein Flugticket nach Mekka, um dort die entsprechenden mehrtätigen Rituale abzuhalten – wie die Kaaba umrunden, den Berg Arafat besuchen oder den Teufel symbolisch steinigen. Dafür gibt es feste Regeln und vorgeschriebene Gebete, die während der einzelnen Schritte des Haddsch eingehalten werden (müssen). So war es für Khorchide einleuchtend, sich ein Flugticket nach Santiago de Compostela zu buchen. Seltsam mutete ihm die Anregung an, Wanderschuhe & Co. einzupacken. Aber „okay, in Mekka geht man ja auch siebenmal um die Kaaba“…

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Nach der Ankunft war die Enttäuschung zunächst groß: Die Kathedrale war um 21.30 Uhr geschlossen – ein Unding für den Muslim, der die 24-Stunden-Öffnungszeit der Moschee in Mekka gewohnt ist. Noch mehr für Verwunderung sorgten die vielen Gruppen vor der Kathedrale: Glücklich, aber erschöpft machten sie Fotos und Selfies. Ihre Gratulationen zur Ankunft fand er zunächst befremdlich, um nach einigem „Aneinander vorbeireden“ zu erkennen: Er hatte so „ziemlich alles falsch gemacht“, schließlich: Zum Grab des Heiligen Jakobus zu pilgern heißt, eine Strecke von mindestens 100 Kilometer zu Fuß zurückzulegen…

Dann eben „rückwärts“ auf dem Jakobsweg…

Nun war Khorchide ja schon am Pilgerort, aber nicht gewandert – also die Pilgerstrecke in umgekehrter Richtung gegangen. Unterwegs kam es zu vielen Begegnungen mit Pilgern, die sich teils verwundert, teils amüsiert über den „wrong way“ des Islam-Theologen zeigten. Eine Frage brannte Khorchide unter den Nägeln: Welche Rolle spielen Rituale, Gebete und Gott beim christlichen Pilgern? Zunächst erstaunt über den Mangel daran, gewann er Gefallen an der „Selbstfindung auf dem Jakobsweg“; jeder habe ihm dasselbe berichtet: Das Pilgern sei eine Reise in sich selbst, auch um die eigenen Grenzen auszuloten: „Der Weg ist das Ziel. Keiner hat über Gott gesprochen.“ Gelernt hat Khorchide, dass die Reise ins Innere auch zugleich eine Reise nach Außen sei, und auch das Finden des Göttlichen. Ein wenig fehle ihm das beim muslimischen Pilgern mit dessen strengen Vorschriften: Sich wieder über die kleinen Dinge im Leben zu freuen und dabei das große Ziel nicht aus den Augen zu lassen, das habe der Jakobsweg ihn gelehrt, so Khorchide.

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Mehr Aufklärung – nicht nur im Islam

Eine Erkenntnis des Islam-Theologen: Der Islam, der seit der Zeit der Kalifen politisch instrumentalisiert werde, brauche eine Rückbesinnung auf die ursprüngliche Lehre: Barmherzigkeit, Rücksichtnahme und Nächstenliebe. Khorchide ist um Aufklärung bestrebt: Weg von Ritualisierung und Radikalisierung, weg von Äußerlichkeiten und identitären Abgrenzungen und vor allem weg vom „strafenden Gott“ hin zu einem spirituellen, weltoffen Glauben mit positiven Beziehungen zu Gott. Radikalisierung und Fundamentalismus im Islam unterlägen den gleichen Mechanismen, wie alle extremistischen Gruppierungen, auch des Christentums. Aufklärung bedürfe es nicht nur im Islam: Alle drei Schwesterreligionen mit ihrem Versprechen der „ewigen Glückseligkeit“ seien gefragt, sich auf ihre Ursprünge zu besinnen: Rücksichtnahme, Barmherzigkeit und Nächstenliebe… 

Infos zum Buch | Morgen nächster „Offener Abend“

Mouhanad Khorchides Buch „Ein Muslim auf dem Jakobsweg – Pilgererfahrungen der anderen Art“ ist unter der ISBN 978-3-451-39721-9 für 18,00 Euro im Buchhandel erhältlich. Beim nächsten Offenen Abend an der Altenberger Straße 25 wird Annette Leuschen am morgigen Donnerstag, 6. November, Dr. Stefan Kühn zu Gast haben: Der frühere Wuppertaler Sozialdezernent wird ab 19.30 Uhr unter der Überschrift „Fassadenkunst – Ganz groß-Art-ig!“ zu den „StreetArt“-Murals in Wuppertal (die CW berichtete) sprechen. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten.