20.05.2019, 19.29 Uhr   |   Meinhard Koke   |   Artikel drucken   |   Instapaper   |   Kommentare

„Hässlich, unnötig, schädlich“: Wie sich die Bahn-Debatten ähneln

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Ist per Zufall über das Schwebebahn-Heft in ihrer Dokumenten-Sammlung gestolpert: Gudrun Balewski staunt über die auch nach fast 125 Jahren „schwebende“ Aktualität des Inhaltes. | Foto: Meinhard Koke

„Sie ist überflüssig“, „sie ist hässlich und eine Verunzierung der Stadt“; „sie schädigt die Anwohner und bedeutet eine Wertminderung der anliegenden Grundstücke“; „sie bietet den Fahrgästen interessante Einblicke in das intime Familienleben der Anwohner“; … – falsch gedacht, das alles sind keine Kritiker-Argumente in der aktuell tobenden Diskussion um die Seilbahn.

Nein, diese Aussagen sind fast 125 Jahre alt – sie stammen aus der Debatte, die damals um die Idee tobte, im Tal der Wupper eine Schwebebahn zu bauen. Gudrun Balewski staunte auch nicht schlecht, als ihr ein Nachdruck des Heftchens „Die Schwebebahn“ von 1896 in die Hände fiel: „Das ist ja fast wie heute bei der Seilbahn-Diskussion“, zeigt sich die Inhaberin von Blumen Balewski am Küllenhahn über die geradezu frappierende Ähnlichkeit der Auseinandersetzung um die beiden rund 120 Jahre auseinanderliegenden Verkehrsprojekte verblüfft: „Vielleicht haben die ja auch das Heft und mal reingesehen…“

„Diejenigen, die sie nicht haben wollen, reden am lautesten…“
„Sie kommt – sie kommt nicht! – Unheimliche Gerüchte durchschwirren die Stadt“, erklärt der nicht mehr zu identifizierende Autor, warum er sich zu Wort meldete: „Diejenigen, die sie nicht haben wollen, reden am lautesten… Diejenigen, die sie haben wollen und ersehnen, schweigen und warten…“ Mit dem Untertitel „Eine Abhandlung über Moral“ ergreift der Verfasser daher das Wort und antwortet auf Leserbriefe oder auch Aktionen eines „Bürgerkomitees in Sachen Schwebebahn“.

Auf rund 20 Seiten nimmt er sich Kritikpunkt für Kritikpunkt der Gegner vor. „Die Bahn ist überflüssig, häßlich und für die Anwohner nachteilig“? Man brauche nur den Polizeibericht zu lesen, empfiehlt der Autor. Dann würde man von jeder Menge überfahrener Menschen und Pferde sowie Zusammenstößen von Fuhrwerken erfahren. Vor allem aber: Die Schwebebahn werde ein schnelles Verkehrsmittel sein – und insofern „durchaus nicht überflüssig“.

Schwebebahn: „Die ganze Anlage wird ihm imponieren.“
Und die Hässlichkeit? Ob es nun um die Schwebebahn gehe oder „die Puffärmel unserer Damen oder die Wagnersche Musik“ – darüber könne man streiten, befindet der Autor. Die Schwebebahn sei ebenso wenig ein ästhetisches Kunstwerk wie die Müngstener Brücke, gibt er zu (und würde damit heute wohl Einsprüche ernten). Aber: Die Schwebebahn solle ja vor allen zweckmäßig sein und zudem: „Jeder Fremde wird nie und nimmer den Eindruck haben, etwas Unschönes zu sehen, die ganze Anlage wird ihm imponieren.“ Würden die Anwohner benachteiligt, indem man ihnen in die Fenster sehen kann? „Das klingt ja fast so, als wenn hinter jedem Fenster Falschmünzer hausten, oder Dynamitbomben gemacht würden“, entgegnet der Autor: „Es fällt Niemandem ein, solche uninteressante Umschau zu halten.“

Auf den weiteren Seiten rechnet der Autor akribisch nach, wie viele Straßen-Meter in Barmen beziehungsweise Elberfeld durch die Schwebebahn betroffen würden. Auch nimmt er die Kosten-Diskussionen ebenso aufs Korn, die Forderung nach einem lebensgroßen Modell der Schwebebahn bezeichnet er als abwegig – „man denke sich ein solches Modell vom Eiffelthurm!“

„Wir trinken Kaffee am Schwelmer Brunnen und am Küllenhahn.“
Einen Kritikpunkt findet der Verfasser „zum Weinen“ beziehungsweise „zum laut Auflachen“: „Die Schwebebahn erleichtert dem Barmer den Besuch von Elberfeld.“ „Wir kaufen Knöpfe in Barmen und Zanella in Elberfeld“, wirbt der Schreiber dagegen für die stählerne Verbindung von Vohwinkel bis Rittershaus: „Wir nehmen eben das Gute da, wo wir es finden.“ Und er fügt hinzu: „Wir trinken Kaffee am Schwelmer Brunnen und am Küllenhahn.“

Ob der Autor da vielleicht schon die Seilbahn zum „Süd“ im Hinterkopf hatte? Knöpfe in Barmen und Zanella in Elberfeld sind zwar Geschichte, aber gut Kaffeetrinken, das geht jedenfalls noch immer am Küllenhahn…!

Kontra Seilbahn: Jochen Plate

Den heutigen Seilbahn-Disput mit Blick auf den damaligen Streit um die Schwebebahn vergleichend zu betrachten – dieser Gedanke ist charmant. Man wird in Wuppertal wohl niemanden finden, der behauptete, die Schwebebahn müsse weg. Allein unter diesem Aspekt, die Seilbahn als zukunfts-trächtig und Gewinn zu betrachten, die Gegner als Fortschrittsbremsen und Berufsnöler abzutun, erscheint mir zu kurz gedacht. Vergleichen wir hier nicht Äpfel mit Birnen?

Es ist schon unzulässig, die Zeit der Frühindustrialisierung mit einer modernen, auch ökologisch ausgerichteten Industriegesellschaft zu vergleichen. Wer dann noch emissionsfrei mit CO2-neutral gleichsetzt, bei dem kommt auch der Strom aus der Steckdose und das Geld von der Bank. Die Väter der Schwebebahn, die ein Industriedenkmal geschaffen haben, das auch über 100 Jahre nach seinem Bau noch immer die schnellste Ost-West-Verbindung mit 20 Haltepunkten darstellt, würden sich im Grab herumdrehen, erlebten sie die Planungs- und Rechengenies der WSW. Die schaffen es nicht einmal, einen geregelten Studententransport mit Bussen in Tagesspitzen- und lediglich Semesterzeiten zu organisieren. Uns das Ganze mit drei mickrigen Stationen dann im 21. Jahrhundert auch noch als technische Innovation zu verkaufen – da muss ich schmunzeln.

Innovativ, schnell, zuverlässig? „Hieran scheitert die Seilbahn!“
Bemerkenswert auch, dass man um 1900 einen verkürzten Schwebebahn-Bau aus Gründen mangelnder wirtschaftlicher Rentabilität ablehnte. Wetteranfällig ist die Schwebebahn ebenfalls nicht. Sie ist nur durch Schlamperei und Pfusch am Bau zu stoppen. Die historische Städtekonkurrenz zwischen Barmen und Elberfeld mit geradezu Köln-Düsseldorferschen Ausmaßen zu übertragen auf das wehrhafte Cronenberger Bergvölkchen in seinem Kampf gegen das übermächtige Elberfeld, das ja zu allem Überfluss auch noch im BARMER Rathaus sitzt – der Vergleich hinkt doch gewaltig! Zu guter Letzt wurde schon zur Jahrhundertwende über die Stufen hoch zur Schwebebahn gestritten, kein Vergleich aber zu den drei Stockwerk hohen Stationen der geplanten Seibahn.

Würde die Schwebebahn heute noch einmal gebaut? Ich denke: JA! Und zwar genau aus den Gründen, aus denen man diese Seilbahn verhindern muss. Man wollte ein innovatives, schnelles, zuverlässiges und finanzierbares Verkehrsmittel schaffen. An all diesen Kriterien scheitert die Seilbahn!

Pro Seilbahn: Michael Ludwig

Grundsätzlich bin ich für die Seilbahn, da ich sie als eine Innovation für die Wuppertaler Zukunft sehe. Eigentlich kann man die heutige Situation eins zu eins mit der Diskussion vor 122 Jahren um den Bau der Schwebebahn vergleichen. Auch damals gab es betroffene Bürger, die ihr Heim schützen wollten und aus allen Lagen gegen die Initiatoren feuerten. Dabei waren auch schon damals die Argumente der Gegner teilweise weder faktenbasiert noch logisch.

Natürlich kann ich die betroffenen Bürger verstehen. Aber andererseits darf man nicht nur aus den Emotionen heraus argumentieren, sondern muss sachlich bleiben. Wir schlittern von einem Skandal der Autoindustrie in den nächsten und anscheinend gibt es keinen Masterplan zur Umwelt- und Klimaproblematik. Da könnte genau jetzt das gemeine Volk an der Wupper mal wieder Vorreiter für ein Innovation sein: Eine Seilbahn für Wuppertal! Die Seilbahn produziert keine gesundheitsschädlichen Emissionen und kann mit regenerativer Energie betrieben werden. (Wie können wir das E-Auto haben wollen und die Seilbahn nicht?)

„Wie beim „Döpps“-Umbau: Fördergelder nicht ungenutzt lassen!“
Fakt ist, dass die WSW zukünftig, egal ob die Seilbahn kommt oder nicht, weiter Buslinien ausdünnen werden. Denn die ÖPNV-Sparten der meisten Verkehrsbetriebe erwirtschaften Verluste. Natürlich kostet die Seilbahn auch eine recht große Summe an Geld. Da das Gros der Investitionskosten aus Fördertöpfen des ÖPNV kommt, müssen die Stadt bzw. die WSW nur einen geringeren finanziellen Beitrag leisten. Es verhält sich bei der Seilbahn wie mit dem Döppersberg-Umbau: Hätten wir die Chance zum Umbau des Döppersberg nicht mit den Fördergeldern genutzt, hätte Wuppertal niemals dieses Projekt stemmen können.

Die Art des Verkehrs in den Städten wird sich erheblich verändern. Warum sollen wir Wuppertaler nicht mal wieder mutig sein. Ja, ich möchte in neun Minuten vom Küllenhahn am Döppersberg sein, um einzukaufen oder mein Frühstück zu genießen. Ja, für die Seilbahn würde ich mein Auto auch stehen lassen. Wir Küllenhahner müssen auch einen Teil der „Last” tragen, indem die Bergstation mit angrenzendem Parkhaus hier entsteht. Lasst uns nicht mit Scheinargumenten und ausgedachten Zahlen Populismus betreiben. Wir sollten wie vor über 120 Jahren mutig sein – vielleicht sind unsere Enkelkinder dann einmal stolz auf unsere Entscheidung.