14.05.2021, 16.10 Uhr | Meinhard Koke | Artikel drucken | Instapaper | Kommentare
Wasserstoff-Modellprojekt: Polit-Scharmützel wegen Gesetzentwurf
Gesetzespläne, die Wasserstoff-Produktion aus Müllverbrennungsanlagen als klimaunfreundlich einzustufen, gefährden das Modellprojekt auf Korzert – und sorgen für Zündstoff unter Wuppertaler Bundestagskandidaten.
Die Wasserstoff-Busse der Wuppertaler Stadtwerke (WSW) fahren ziemlich geräuscharm durchs Tal beziehungsweise zum Betanken ans Müllheizkraftwerk Korzert. Nun sorgte das Modellprojekt jedoch für viel Lärm. Auslöser war der FDP-Bundestagsabgeordnete Manfred Todtenhausen: Unter der Überschrift „Bundesregierung gefährdet Wasserstoffprojekt von WSW und AWG“ zeigte sich der Liberale „besorgt um die Zukunft der WSW-Wasserstoffbusse in Wuppertal“ – und löste damit eine Kontroverse mit seinem SPD-Bundestagskollegen Helge Lindh sowie der CDU-Bundestagskandidatin Caroline Lünenschloss aus.
Hintergrund ist der Gesetzentwurf zur „Weiterentwicklung der Treibhausgasminderungs-Quote“: „Die Bundesregierung und allen voran Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) wollen in Müllheizkraftwerken produzierten Wasserstoff nicht mehr als emissionsarm anerkennen“, warnte MdB Todtenhausen, dass damit das Aus für das Korzerter Wasserstoffprojekt drohe – und damit für ein europaweit beachtetes NRW-Modellprojekt.Würde die Nutzung der Energie aus Müllverbrennungsanlagen nicht mehr als klimafreundlich eingestuft, würde die Energie für die Wasserstoff-Produktion „einfach in die Luft geblasen“. Das, so warnte der FDP-Bundestagsabgeordnete, wäre dann möglicherweise auch das Aus für das Wuppertaler Klimaschutz-Konzept.
Der Bundestagswahlkampf lässt grüßen: Der Liberale forderte seine Wuppertaler Bundestagskollegen von CDU/CSU und SPD auf, sich für die Wasserstoff-Produktion in Müllverbrennungsanlagen stark zu machen: „Jürgen Hardt und Helge Lindh können dazu beitragen, indem sie in ihren Fraktionen auf die Konsequenzen des Gesetzes hinweisen.“ Helge Lindh (SPD) reagierte umgehend: Die Todtenhausen-Äußerungen seien „unseriöse Schreckensszenarien“, sicherte Lindh AWG und WSW seine Unterstützung zu.
Gleichwohl bekannte der SPD-Politiker: „Ein Ende der Wasserstoffproduktion auf Korzert wäre ein herber Rückschlag für die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung.“ „Das Problem“ sei aber bereits Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) kommuniziert worden, er befinde sich dazu auch „im intensiven Austausch“ mit der Ministerin, ließ Lindh wissen: „Das Problem ist der Ministeriumsspitze bekannt.“ Zwar sei es richtig, so Helge Lindh weiter, dass Wasserstoff aus Müllverbrennungsanlagen nicht per se klimaneutral sei. Man brauche aber Müllverbrennungsanlagen „dringend“, um die neuen wasserstoffbasierten Mobilitätsformen ausprobieren zu können: „Hier muss ein Kompromiss gefunden werden, der das Klima schützt und den Betrieb der innovativen Anlage auf Korzert weiter ermöglicht“, schloss sich der Wuppertaler SPD-Bundestagsabgeordnete letztlich der Forderung seines FDP-Kollegen zwar an.
„Nebelkerzen aus Berlin“?
Lindh kritisierte aber das Vorpreschen von Todtenhausen: „Gern hätte auch ich ihn bei entsprechender Nachfrage mit den nötigen Informationen versorgen können“, nahm der SPD-Politiker wiederum die Wuppertaler Grünen und CDU ins Visier: Lindh forderte sie zu Unterstützung für den Erhalt des Wasserstoff-Projekts auf – postwendend reagierte die CDU: Wuppertals CDU-Ratsfraktionsvorsitzender Ludger Kineke kritisierte die Lindh-Stellungnahme als „nicht nachvollziehbaren politischen Rundumschlag“ und „undifferenzierte und unbegründete Anfeindungen“.
Lindh habe in seine Todtenhausen-Kritik „unnötigerweise CDU und Grüne“ einbezogen: „Offensichtlich ist dem SPD-Wahlkreisbewerber hier einmal mehr ‚der Gaul‘ durchgegangen“, befand Kineke: „Vielleicht hat er ja auch angesichts profilierter Gegenkandidatinnen bereits jetzt die Nerven verloren.“ Damit meinte er wohl Caroline Lünenschloss: Die Wuppertaler CDU-Bundestagskandidatin wertete die Lindh-Äußerungen als „misslungener Wahlkampfauftakt“: „Das sind Nebelkerzen aus Berlin“, schoss Lünenschloss zurück: „Es kann doch wohl kaum zielführend sein, sich in dieser Weise mit Schaum vor dem Mund in parteipolitischen Querelen zu ergehen.“
„Welt“: „Kluge Lösung vom Staat verhindert“
Der Hintergrund des Polit-Scharmützels macht derweil bereits bundesweit Schlagzeilen: Unter der Überschrift „Wasserstoff aus Müll – diese kluge Lösung wird vom Staat verhindert“, berichtete die „Welt“ am 20. April über die Gefahren aus Berlin für das Korzerter Wasserstoff-Projekt. Zwei Drittel der rund 70 Müllheizkraftwerke in Deutschland wollten dem Vorbild Wuppertal nacheifern, zitiert die „Welt“ den Verband kommunaler Unternehmen (VKU) – wegen des Berliner Gesetzesentwurfes zögerten sie nun mit ihren Investitionsentscheidungen.
ITAD: Gesetzentwurf schadet Energiewende
Dazu passt die Aussage von Conrad Tschersich: „Aus Sicht der AWG könnte es die weitere Umsetzung des Wuppertaler Modells erschweren, wenn bei dem Gesetzesvorhaben nicht im Sinne des grünen Wasserstoffs aus dem MHKW entschieden würde“, so der Technische Geschäftsführer der Abfallwirtschaftsgesellschaft Wuppertal (AWG) gegenüber der CW. Der Gesetzesentwurf schade „den Klimazielen, der Energiewende in Deutschland und dem Bemühen, alle anfallenden Reststoffe so gut wie möglich zu nutzen“, kritisiert auch Carsten Spohn, Geschäftsführer der „Interessengemeinschaft Thermischer Abfallbehandlungsanlagen in Deutschland“ (ITAD).
Bundesrats-Votum sorgt für Optimismus
Der ITAD-Geschäftsführer begrüßte derweil das Votum des Bundesrates und forderte „die Entscheidungsträger im Bundestag eindringlich auf, sich den entsprechenden Empfehlungen des Bundesrates zum vorliegenden Gesetzesentwurf anzuschließen“ – die Abwärme aus Müllverbrennungsanlagen müsse gleichberechtigt gegenüber den anderen erneuerbaren Energien eingestuft werden.
Nicht zuletzt ob des Bundesrats-Votums zeigt sich AWG-Geschäftsführer Conrad Tschersich zumindest „verhalten optimistisch“. Zumal die Bundesregierung ja auch grundsätzlich auf die Entwicklung der Wasserstoff-Technologie setze. Die WSW mobil sieht derweil durch den Gesetz-Entwurf zwar ebenfalls Gefahren für künftige Wasserstoff-Projekte, gab jedoch zugleich auch etwas Entwarnung: „Unsere Wasserstoffbusse fahren weiter und auch die Neubestellung der Solaris-Busse ist dadurch nicht gefährdet“, stellte Andreas Meyer, der verantwortliche WSW-mobil-Projektleiter klar.
Gesetz-Entwurf abgesetzt
Derweil wurde die für den 6. Mai 2021 geplant Bundestags-Abstimmung zu dem Gesetz-Entwurf wegen der Proteste abgesetzt. Die Bundesregierung habe „im letzten Moment die Reißleine gezogen“, hofft FDP-Politiker Todtenhausen nun auf einen verbesserten Gesetz-Entwurf. Zugleich forderte der FDP-Politiker die Bundesregierung auf, sich auch auf EU-Ebene „für eine technologieoffene Umsetzung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie einzusetzen“.
Zwischenzeitlich meldete sich SPD-Bundestagsabgeordneter Helge Lindh zu dem Thema erneut zu Wort. Lindh ließ nach einem Gespräch unter anderem mit Bundesumweltministerin Schulze wissen, dass das Korzerter Wasserstoff-Projekt durch den überarbeiteten Gesetzentwurf nicht mehr gefährdet sei. Mehr dazu findet sich hier in unserer aktuellen Ausgabe auf der Seite 9.